Schokoherz
eingepackt zu sein. Wie vielleicht schon deutlich geworden ist, bin ich eine ziemliche Frohnatur, und damals war Tom das auch. Natürlich ein bisschen ernsthafter als ich, aber manche würden sagen, das musste er auch sein. Tom hat immer einen guten Job gehabt, und zwar als politischer Korrespondent bei einer seriösen Zeitung. Bei einer von denen, die man in einer vollen S-Bahn kaum aufschlagen kann, weil sie so groß und unhandlich ist. Der kleinformatige Unsinn der Boulevardblätter war nicht seine Welt. Nein, er übte täglich Kritik an der aktuellen Regierung, was selbige allerdings nicht sonderlich zu interessieren schien.
Wir waren ein tolles Paar. Das kann man schon an unserem Hochzeitsbild erkennen. Da stehen wir, die Köpfe zusammengesteckt, und platzen fast vor Lachen. Nun ja, ich lache und er sieht mich auf liebevoll verwirrte Art an – aber mit einem solch wunderbaren Lächeln! Er ist groß, hager und dunkelhaarig. Ich bin kleiner,wenn auch nicht annähernd so kurz wie Denise, und meine Haare haben die Farbe gerösteter Mandeln. Rundlich war ich schon, bevor ich mit Oliver schwanger wurde. Das bringt Schokolade nun einmal so mit sich. An all diese Vitamine kommt man nicht, ohne da und dort ein Pfündchen zuzulegen. Kollateralschäden, würde ich sagen.
Ja, wir sind beide Journalisten. Das klingt jetzt nach Büroaffäre oder etwas ähnlich Kitschigem, aber so lief das nicht. Wir haben uns durch Zufall kennengelernt. Damals, als Denise noch hin und wieder einigermaßen sinnvolle Ideen für Artikel hatte. Sie hatte mir aufgetragene Champion zu interviewen, die Politikerin. Sie wollte das übliche Blabla: wie man als Frau in der Männerwelt zurechtkommt, genauer gesagt im House of Commons, dem britischen Unterhaus, einem Gebäude mit dreizehn Bars, einem Schießstand und einem Herrenfrisör, aber ohne Kindertagesstätte oder Tamponautomat. Sobald ich ein Notizbuch mit Tiraden, Verzeihung, Jane Champions energischen Ansichten über die Zukunft der Frauen in der Politik sowie einem Abriss ihrer beängstigend kompromisslosen religiösen Ansichten gefüllt hatte, machte ich mich daran, diesen Ort ein wenig zu erkunden.
Wer schon einmal im House of Commons war, der weiß, dass es innen an eine barocke Pralinenschachtel erinnert. Alles ist voller Gold, Schnörkel und Lilienbanner. Es gibt dort sogar tatsächlich ein Schokoladengeschäft, das so unwiderstehliche Dinge wie »House of Commons Toffees« und »House of Lords Pfefferminzbonbons« verkauft. O ja, die britische Regierung hat durchaus Humor. Ich war gerade dabei, einige schneeweißeSchachteln Bendicks Pfefferminzschokolade mit dem unverwechselbaren grünen House-of-CommonsGittermotiv zu erstehen, als ein großer, hagerer Mann versuchte, sich vorzudrängeln. Eines ist sicher: Niemand stellt sich zwischen mich und eine Tafel Schokolade. Tom, der erstklassige Manieren besitzt, würde sich normalerweise niemals an einer Dame vorbeidrängeln. Vor lauter Eile hatte er mich schlicht und einfach übersehen. Es war ihm unendlich peinlich, vor allem nachdem er seinen Blick einige Male meinen Körper hinauf und hinunter hatte wandern lassen. Seine Entschuldigung erfolgte in Form einer Einladung zum Abendessen. Da ich ihn fast so appetitlich fand wie die hohen, schmalen Schokoladendosen, sagte ich ja, und damit war, wie es so schön heißt, mein Schicksal besiegelt.
Wir heirateten mehr oder weniger auf der Stelle – ich habe schon immer gerne zugegriffen, wenn sich etwas Leckeres anbot – und halsten uns ein riesiges Haus in Fulham auf. Ohne uns dessen richtig bewusst zu sein, bereiteten wir uns auf den nächsten Abschnitt in unserem Leben vor: Babys. An den Wochenenden schlenderten wir Hand in Hand durch den Conran Shop und die Nebenstraßen von Brighton, wo wir uns in Gemälde verliebten, genau das richtige Besteck aussuchten und dann Freunde zum Abendessen einluden, um den Tisch damit decken zu können. Wie gut, dass Oliver unser Leben durch seine Ankunft durcheinanderbrachte, sonst wären wir vermutlich hoffnungslos spießig geworden.
Einen kleinen, aber überaus bedeutenden dritten Menschen im Haus zu haben warf unsere Routine gründlich über den Haufen. Wir hatten nicht länger eine leidenschaftliche Affäre – zumindest nicht miteinander.Oliver stand im Zentrum von allem. Wir wetteiferten darum, ihn zum Lachen zu bringen oder das lauteste Klatschen seiner süßen Patschehändchen zu ernten. Wir verwandelten uns in Zirkusaffen und wandten uns dabei
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