Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schottische Disteln

Schottische Disteln

Titel: Schottische Disteln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Canetta
Vom Netzwerk:
konnte. Es war in einer Mauerspalte festgeklemmt, geschwollen und schmerzte stark. Vorsichtig bewegte sie die Zehen, versuchte Knöchel und Knie etwas zu drehen und hatte das Gefühl, dass nichts gebrochen war. Behutsam versuchte sie, mit beiden Händen das Bein herauszuziehen, aber da rührte sich gar nichts. Dann verlor sie wieder das Bewusstsein, und als sie das nächste Mal zu sich kam, war es dunkel. Die Schmerzen im Kopf hatten etwas nachgelassen, aber das Bein saß fest. Andrea wusste, dass sie sich allein nicht befreien konnte, und sie wusste auch, dass es hier weit und breit keinen Menschen gab, der sie finden würde. Entmutigt und den Tränen nahe, sah sie sich um. Nur schattenhaft waren die Ruinen zu erkennen. Ab und zu flogen ein paar Fledermäuse über sie hinweg, und sie hatte Angst, dass sie vielleicht das Blut riechen und sich auf ihrem Kopf festkrallen würden. Sie streifte die Bluse ab, zog ihr Seidenhemd aus, wickelte es um den Kopf und zog die Bluse wieder an.
    Kalt war es geworden. Von der Wärme des Sommertages und von der tropischen Strömung eines warmen Meeres war nichts mehr zu spüren. Andrea sah nach oben. Nah, wie sie es noch nie erlebt hatte, blinkten die Sterne in tausendfacher Vielfalt. Sie sah auf die Uhr, da sie aber keine Leuchtziffern hatte, konnte sie nicht erkennen, wie spät es war. Sie versuchte, sich so bequem wie möglich hinzusetzen. Arme und Rücken verkrampften sich allmählich, denn sie konnte sich nirgends anlehnen. Bei jeder kleinsten Bewegung schmerzte der Kopf. Und dann weinte sie doch. Die Tränen liefen ihr einfach über das Gesicht und tropften auf die Bluse, mit der ein leichter Wind spielte. Wind, der den Morgen ankündigte?
    Andrea holte tief Luft, und langsam beruhigte sie sich wieder. Sie überlegte, ob und von wem sie Hilfe erwarten konnte. Ryan wusste, wohin sie gefahren war, er würde sie vermissen, wenn sie nicht zurückkam, und spätestens morgen mit der Suche beginnen, vorausgesetzt, er konnte die Herde allein lassen und hatte seine eigenen Probleme im Griff.
    Peter wusste inzwischen auch, in welcher Gegend sie steckte, er würde sie bestimmt suchen, wenn sie nicht auftauchte. Sie hatte in Hamburg gesagt, wo sie war – also, ganz allein und verlassen war sie eigentlich nicht Etwas beruhigt stützte sie die Arme auf die Knie und legte den Kopf darauf.
    Das Krächzen zahlreicher Krähen weckte sie. Erschrocken sah sie ganze Schwärme, die über ihr am dämmerigen Himmel kreisten. Würden sie angreifen? Wie konnte sie sich schützen? Grässliche Bilder aus dem Hitchcock-Film fielen ihr ein und alles, was Ryan über die toten Schafe und die Krähen erzählt hatte. Durchgefroren und vollkommen verkrampft überlegte sie, womit sie die Vögel abwehren konnte. Sie konnte die Bluse ausziehen und herumschwenken, und sie konnte schreien, mehr Möglichkeiten hatte sie nicht. Sie nahm die Fotoapparate ab und legte sie neben sich. Zur Not musste sie damit werfen. Ihr Bein war durch die Ruhe der Nacht etwas abgeschwollen, aber es ließ sich um keinen Zentimeter aus der Spalte ziehen. Hundert Meter, nur hundert Meter bis zum Auto, zum Telefon, zur Rettung, verdammte hundert Meter. Sie kämpfte wieder mit den Tränen, sie wusste aber auch, dass ihr alles Weinen nicht weiterhalf. Sie saß fest und musste warten.

XIV
    Peter Erasmus und sein Fahrer erreichten Inverness kurz vor Mitternacht. Während Peter auf der ganzen Fahrt versucht hatte, immer wieder Andrea über ihr Autotelefon zu erreichen, hatte der Chauffeur telefonisch Zimmer im Moray Hotel bestellt, dem besten Haus am Platze, wie Peter angeordnet hatte. Man war sehr bemüht, die späten Gäste zufrieden zu stellen, und betonte, dass die Küche noch geöffnet sei und jederzeit ein Abendessen durch den Zimmerservice geordert werden könnte.
    Peter nickte. »Bringen Sie in einer Viertelstunde ein kräftiges Essen in meine Suite. Wir speisen dort gemeinsam.«
    Mit den Gedanken war er ganz woanders: Er konnte nicht begreifen, dass Andrea sich nicht meldete, obwohl sie mit dem Wagen unterwegs war und das Telefon hören musste. Ihre Handyanlage war keinesfalls gestört, wie er aus den Klingelzeichen heraushört und besetzt war die Leitung auch nie. Zwischendurch hatte er sich beim Verlag gemeldet und erfahren, dass sie in der Gegend der Inverewe Gardens unterwegs war, dass er sie also nicht auf der Strecke am Caledonian Canal und am Loch Ness verpasst hatte.
    Während des Essens besprach er mit dem Fahrer die

Weitere Kostenlose Bücher