Schottische Disteln
schüttelte den Kopf: Seine kleine, geliebte, fröhliche Andrea war zu einem Rätsel geworden.
Wenig später klingelte das Telefon erneut, eine formelle Frauenstimme fragte ihn nach seinem Namen und erklärte dann: »Ich verbinde Sie mit Mr McGregor.«
Als er sich meldete, antwortete eine kühle, distanzierte Männerstimme: »Mein Name ist McGregor. Ich suche Andrea Steinberg, und ich bin in großer Sorge. Können wir die Suche koordinieren?«
»Könnten Sie mir erst einmal sagen, wer Sie sind?«
»Das sagte ich bereits. Wo befinden Sie sich zurzeit?«
Peter, verblüfft von der Arroganz in dieser Stimme, hätte am liebsten aufgelegt. Das aber brachte ihn keinen Schritt weiter. Und so erklärte er: »Wir sind auf der A 835 südlich vom Loch Broom.«
»Hatten Sie in den letzten Stunden Telefonkontakt zu Miss Steinberg?«
»Nein.«
»Ich habe mit einem Parkaufseher von Inverewe Gardens telefoniert. Miss Steinberg hat die Gärten gestern Mittag in südlicher Richtung verlassen. Sie muss auf der A 832 unterwegs sein. Wie schnell sind Sie dort?«
»Ich muss meinen Chauffeur fragen.« Dann: »In einer Stunde, wenn wir nicht in den Gärten nach ihr suchen müssen.«
»Bitte beeilen Sie sich, ich bin in großer Sorge. Ich bemühe mich, so schnell wie möglich hinzukommen.«
»Von Aberdeen aus?«, fragte Peter verblüfft.
»Von Aberdeen aus. Danke für das Gespräch.«
Damit legte dieser unhöfliche Schotte auf, und Peter sah verblüfft zu seinem Fahrer hinüber. »Ein Verrückter. Der will von Aberdeen aus schneller auf der A 832 sein als wir.«
Byron grinste und nickte. »Wenn es der McGregor ist, von dem ich annehme, dass er es ist, dann schafft er das.«
»Und wie?«
»Mit einem düsenbetriebenen Helikopter. Es gibt nichts, was für den unmöglich wäre.«
»Und wer ist dieser arrogante Typ, der mich wie einen dummen Jungen behandelt?«
»Der größte Industrielle hier im Norden, der reichste Mann in Schottland. Wenn ich ehrlich sein darf: Er ist ein knochenharter Typ, mit dem man sich nicht anlegen sollte, jedenfalls sagen das die Leute, die ihn kennen. Sie sagen aber auch, dass er seinen Leuten gegenüber hundertprozentig loyal ist.«
»Seine Leute, wer sind die?«
»Nun, alle seine Arbeiter und Angestellten und alle Familien, die dazugehören. Weihnachten zum Beispiel, da gibt es Feste, von denen ganz Schottland spricht. Feste für seine Leute, nicht für die Highsociety, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Und er selbst? Was ist mit ihm?«
»Er hat keine Familie, obwohl die Frauen, wie man sagt, Schlange stehen. Seine Eltern haben sich zur Ruhe gesetzt und leben in Washington, wo der alte McGregor noch ein bisschen in der Politik mitmischt. Dieser hier, der Junior, der aber auch schon um die fünfzig ist, ist ein totaler Einzelgänger, erzählt man sich.«
»Sie kennen ihn nicht persönlich?«
»Wo denken Sie hin, Mr Erasmus, einen McGregor trifft man nicht eben mal auf der Straße. Von den Bodyguards ganz abgesehen.«
Peter schwieg. Woher kannte Andrea diesen Menschen? Er schüttelte den Kopf.
»Fahren wir lieber schneller. Ich habe wirklich Angst um Miss Steinberg.«
Mittags hatten sie die Gärten bereits hinter sich gelassen. Bis zum nächsten kleinen Ort war die Straße einigermaßen befahrbar. Dann wurde es kritisch. Die tief liegende Limousine schrammte immer wieder über Steine, wenn die Räder gleichzeitig in Schotterlöchern versanken, und um Hindernissen auszuweichen, war der Weg zu schmal. Peter beobachtete den Fahrer, der sich alle Mühe gab, den Wagen nicht festzufahren und einen Achsenbruch zu vermeiden. Immer wieder stieg Peter aus, um Gatter zu öffnen und zu schließen, oder lief vor dem Wagen her, um Schafe zu vertreiben, die ihre Mittagsruhe auf dem Weg hielten.
Nach einer weiteren Stunde sahen sie am Horizont einen Krähenschwarm. »Da drüben muss etwas los sein.« Byron zeigte nach Süden. »Wir haben auf der ganzen Strecke kaum Vögel gesehen.«
Peter nickte. »Bitte fahren Sie so weit wie möglich heran.«
Dann hörten sie gleichzeitig das tiefe Brummen eines schweren Motors und sahen einen Helikopter, der nach Süden abbog und zur Landung ansetzte.
Als Ryan McGregor den Krähenschwarm sah, wusste er, was los war. »Dort drüben«, dirigierte er den Piloten und zeigte auf die schwarzen Vögel. Er hatte vor kaum einer Woche grässliche Erfahrungen mit diesen Rabenvögeln gemacht und wusste, was sie bedeuteten. Die meisten kreisten in der Luft. Einige stießen
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