Schottische Disteln
Ryan eine so groß angelegte Expedition plante.
Als sie die letzten Vororte hinter sich hatten, fuhren sie über flaches Land, und Andrea sah mit Staunen, dass der Herbst Einzug gehalten hatte. Bauern brachen mit schwerem Gerät ihre goldgelben Stoppelfelder um, verfolgt von Schwärmen weißer Möwen, die in der aufgewühlten Erde nach Würmern und Käfern suchten. Heckenrosenbüsche voller schwerer Hagebuttendolden zwischen letzten rosa Blüten säumten die Wege, und die Bäume hatten ein buntes Herbstkleid angelegt.
»Woran denkst du, Andrea?« Ryan beobachtete sie, passte den Wagen den Straßenverhältnissen an und umfuhr vorsichtig Unebenheiten in der Asphaltdecke.
»Es ist Herbst geworden, Ryan, ich habe das gar nicht miterlebt.«
»Wenn wir näher herankommen, wirst du den ersten Schnee auf den höheren Bergen sehen.«
»Müssen wir sehr hoch hinauf?«
»Nein, wir bleiben meist in den Tälern. Für Schotterwege und Serpentinen ist dieser Wagen nicht zu gebrauchen. Fühlst du dich wohl? Sitzt du bequem?«
»Ich fühle mich wunderbar. Danke, Ryan, dass du dir diesen Tag freigenommen hast.«
»Ich freue mich selbst auf die Fahrt. Ich komme zu wenig heraus, wenn ich mich erst wieder im Trott der Firma eingerichtet habe. Aber das wird sich in Zukunft ändern.«
Fragend sah ihn Andrea an. »Wie meinst du das?«
»Ich werde mir hin und wieder ein freies Wochenende gönnen. Ich muss mich sowieso mehr um mein Land an der Küste und um die Leute, die es gepachtet haben, kümmern.«
»Bist du so etwas wie ein Clan-Chef?«
»Nein, das sind veraltete Sitten, die ich nicht mehr mitmache. Die Bauern bezeichnen mich zwar als ihren Laird, das ist etwas Ähnliches, und ich kann sie nicht davon abbringen, aber da ich mich wenig um sie kümmere, weil ich der Meinung bin, diese an Leibeigenschaft grenzenden Verhältnisse müssen abgeschafft werden und die Bauern können ihre Interessen selbst vertreten, finde ich auch die Bezeichnung Laird unpassend. Mir ist die Freundschaft der Leute wichtiger, und dass sie mich mit dem Vornamen ansprechen, betrachte ich als Ehre.«
»Für einen Fremden ist das alles schwer zu verstehen.«
»Das glaube ich. Selbst wenn man in die Verhältnisse hineingeboren ist, muss man sich immer wieder daran gewöhnen.«
Das Land wurde hügeliger, sie hatten die Ebenen des Dee verlassen und fuhren in Richtung Nordwesten auf die Ladder Hills zu, während die Grampian Mountains im Süden blieben. Hin und wieder kamen sie durch einen kleinen Ort. Bauern, die Karren bepackt mit Körben voller Früchte, Gemüse und Geflügel, waren auf dem Weg zum Markt oder zurück in ihre Gehöfte, Straßenschilder mit kaum lesbaren Namen zogen vorbei. Dann wurden die Orte kleiner. Eine Sammlung weniger Cottages um einen Pub, eine Kapelle, einen Friedhof, man konnte sie kaum noch als Dörfer bezeichnen. Sie tauchten auf, verschwanden hinter der nächsten Kurve, und schließlich wurden auch sie immer seltener. Die Einsamkeit der Highlands begann.
Wenn Ryan den Motor drosselte und langsam um eine Kurve fuhr, schmeckte man den ersten Schnee auf der Zunge. Die eisgekühlte Luft aus dem Norden prickelte im Gesicht, und Andrea zog den umgehängten Pullover dichter um die Schultern.
»Fünf Meilen noch, dann machen wir Rast.«
»Hast du etwa einen Picknickkorb im Auto?«
»Nein, da vorn ist ein Berggasthof, der für seine gute Küche bekannt ist. Im Herbst ist dieses Gebiet bei Moorhuhnjägern sehr beliebt, und Touristen kommen von weit her, um mit einem Jagdschein und einer Flinte die Highlands zu erobern.«
»Bist du auch ein Jäger?«
»Ungern. Ich jage nur, wenn es sein muss. Wenn, wie beim Cottage, die Wildkaninchen überhand nehmen und in die Bauerngarten einfallen oder wenn sich die Männer über zu viele Füchse und über Dachse beklagen, die ihnen die kleinen Felder zerstören, die geringe Ernte wegfressen und im Geflügelhof wüten.«
»Das kann ich verstehen. Machst du bei Fuchsjagden mit?«
»Jetzt nicht mehr. Früher gehörte das, so dachte ich jedenfalls, zum Image, heute ist es mir egal. Ich mache, was mir Spaß macht, und diese Jagd mit fünfzig Pferden und fünfzig Hunden hinter so einem mageren, zu Tode geängstigten Fuchs macht mir einfach keinen Spaß.«
»Bei uns in Deutschland jagen sie ein Phantom, das nur aus stinkender Brühe besteht, hinter dem die Meute herhetzt.«
»Das ist noch lächerlicher. Wenn ich reiten will, dann gibt es andere Gründe dafür.«
»Welche?« Andrea verlagerte
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