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Schottische Disteln

Schottische Disteln

Titel: Schottische Disteln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Canetta
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ihr Gewicht etwas und sah ihn an.
    »Es ist wunderschön, mit einem Pferd zu wandern, einmalig schön. Die Einsamkeit, die Vertrautheit zwischen Mensch und Tier, das Wissen, aufeinander angewiesen zu sein – kein Wild ergreift vor einem Pferd die Flucht, die Rehe und Hirsche und oben im Gebirge die Gemsen und die wilden Ziegen bleiben einfach stehen. Sie lassen dich so nah herankommen, dass du sie fast berühren kannst, das ist ein Erlebnis, wie ich es suche.«
    Sie hatten eine Kreuzung erreicht. Auf der einen Seite stand ein zwei Meter hohes Keltenkreuz mit verwitterten Inschriften im grauen Stein, auf der anderen Seite zeigte ein fröhliches, buntes Holzschild mit bemalten Wanderern den Weg zum Gasthaus.
    »Wir sind da. Hast du Hunger?«
    »Ja, großen Hunger. Vor Aufregung habe ich heute Morgen kaum gefrühstückt.«
    »Dann komm.« Er half ihr aus dem Wagen, hielt sie einen Augenblick fest, bis sie ihr Gleichgewicht gefunden hatte und das steif gewordene Bein bewegen konnte, und führte sie in die Gaststube, in der fröhliche Betriebsamkeit herrschte.
    »Wo kommen all die Leute her, draußen parken doch kaum Wagen?«
    »Das sind Bergwanderer. Hier treffen verschiedene Routen zusammen, und die Küche ist sehr beliebt.«
    Andrea sah sich in der fröhlichen Runde um. »Nur die Küche?«
    Ryan lachte. »Ich gebe zu, du hast die Leute durchschaut, hier wird ein vorzüglicher Whisky gebrannt Wir sind ja nicht weit vom Whisky-Trail entfernt, und etwas Besseres als das frische Quellwasser hier oben kann es nirgends geben.«
    Und während sie an der Bar darauf warteten, dass ihnen ein Platz im Restaurant zugewiesen wurde, bestellte Ryan zwei bernsteinfarbene Maltwhisky und prostete ihr zu: »Auf die Zukunft, meine Liebe.«
    »Und das auf einen leeren Magen«, stöhnte Andrea voll Behagen.
    »Bis zu unserem Tisch schaffen wir es noch.«
    Während ein Bodyguard draußen bei den Wagen blieb, war ihnen der andere in das Haus gefolgt und hatte sich diskret im Restaurant umgesehen. Dann nickte er Ryan zu und setzte sich an einen Tisch neben der Tür.
    »Bekommen die beiden auch ihr Essen?«
    »Natürlich, sie wechseln sich ab.«
    Andrea nickte, den Umgang mit Personal oder gar mit Guards war sie nicht gewohnt. Sie war froh, dass Ryan sich um die beiden kümmerte, auch wenn ihm die Anwesenheit lästig war.
    »Sie können ja nichts dafür«, beruhigte er sie.
    »Woher weißt du, was ich gerade dachte?«
    »Ich sehe es dir an der Nasenspitze an, du kannst dich überhaupt nicht verstellen.«
    »Du hast Recht. Kann ich hier drinnen eigentlich meine Mütze aufbehalten?«
    »Du kannst. Was immer du willst, kannst du auch. Wem es nicht gefällt, der kann ja wegsehen. Ich habe aber bemerkt, dass einige Ladies ganz verstohlen ihre Mützen inzwischen wieder aufgesetzt haben.«
    »Meinst du? Weshalb denn?«
    »Aus Höflichkeit einem Gast gegenüber. Sie haben gesehen, was du verstecken willst, und nun machen sie dir das Versteckspiel ein bisschen leichter.«
    »Die berühmte englische Höflichkeit.«
    »Die berühmte schottische Höflichkeit. In diesem Land rücken die Menschen in allen Bereichen enger zusammen, das prägt.«
    Verblüfft sah sich Andrea um, als sie zu ihrem Tisch geführt wurden. Fast alle Frauen hatten inzwischen Mützen oder Kappen auf. Sie lächelten, als sie Andrea ansahen, und nickten, einige wenige winkten leicht mit der Hand.
    »Ich fasse es nicht.« Andrea winkte freundlich zurück. Was sie nicht wusste war, dass zahlreiche Gäste Ryan McGregor erkannt hatten. Ein Mann, der so oft im Fernsehen zu sehen war, blieb auch in einem Gasthaus oben in den Highlands nicht lange unerkannt. Und wenn eine Dame in seiner Begleitung die Mütze auf dem Kopf behielt, dann gehörte es sich so, dann passte man sich an. Dennoch kam die Freundlichkeit von Herzen, und das spürte Andrea. Es war wie ein Nachhausekommen für sie.
    Auch Ryan genoss den Tag. Es kam so selten vor, dass er sich einen freien Tag gönnte und seine Arbeit anderen überließ. Früher freilich, da war das noch anders, da versuchte er bei gesellschaftlichen Anlässen oder bei sportlichen Veranstaltungen Menschen kennen zu lernen, Freunde zu finden, einer Frau zu begegnen, die er akzeptieren könnte. Aber im Laufe der Zeit hatte er diese Versuche aufgegeben. Es gab zu oft Enttäuschungen und Probleme, und letzten Endes war es bequemer, allein zu bleiben und diese Freiheit zu genießen. Soweit man bei Vierundzwanzig-Stunden-Stress von Genuss sprechen konnte.
    Ryan

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