Schottische Engel: Roman (German Edition)
alten, gelangweilten Männer im Café die so jede Perspektive verloren hatten.
Sie trat ans Auto. Hinter der regennassen Scheibe sah sie David, in einen Stapel Akten vertieft, die er auf dem Schoß hielt. Sie klopfte leise an die Scheibe. David erschrak, ließ die Scheibe herunter, und ein Schwall Regenwasser tropfte auf seine Papiere. »Mist«, rief er, schüttelte das Wasser ab, öffnete die Tür und sprang heraus. »Da bist du ja endlich, mein Mädchen, ich habe so lange auf dich gewartet.« Er umarmte sie zärtlich, und Mary konnte nur schwer einen langen, innigen Kuss abwehren. »Nicht mitten auf der Straße«, flüsterte sie und bat ihn: »Komm mit nach oben, und Drumworld kann auch mitkommen, oder soll er auf der Straße warten?«
»Mary, ich möchte dich abholen, so lange kann er hier unten bleiben.«
Aber Mary schüttelte den Kopf. »Wir müssen reden, David.«
»Dann muss er erst recht hier unten warten. Aber worüber willst du reden? Wir haben doch schon über alles gesprochen.«
»David, leg deine Papiere ins Auto und komm.«
Zögernd folgte ihr der Mann. ›Worüber will sie denn noch reden?‹, dachte er. ›Wir haben doch alles besprochen, sie weiß doch, dass ich sie brauche, und zwar nicht als Filmemacher, sondern als Mann.‹ Zögernd folgte er ihr. In der Wohnung angekommen, half er ihr aus dem Mantel und die Fenster zu öffnen, denn es roch ein bisschen muffig. »Magst du einen Tee?«, fragte Mary aus der Küche. »Nimm Platz und in dem Schränkchen neben der Tür sind Gläser, und eine angebrochene Flasche Cognac müsste auch noch dort stehen. Bedien dich bitte.«
Aber David folgte ihr in die Küche. »Mary, ich möchte keinen Tee und keinen Cognac. Ich möchte dich. Aber wenn du vorher reden willst, dann komm und setz dich zu mir und wir reden.« Er nahm sie an die Hand und zog sie neben sich auf das Sofa. »Also, worüber willst du reden? Wir haben doch schon alles gesagt, und wir waren uns ganz einig.«
»David, wir haben uns in Hamburg ausgesprochen, wir waren uns in Venedig einig. Und jetzt sind wir zu Hause, und alles hat sich geändert.«
»Aber nein, Mary, nichts hat sich geändert, ich liebe dich und du liebst mich, das ist doch das Allerwichtigste. Das ist doch alles, was in unserem Leben zählt.«
»David, eine Tragödie hat sich zwischen uns gestellt, merkst du das denn nicht?«
»Es gibt eine Tragödie, Mary, ja, aber sie hat nichts mit uns zu tun. Sie streift unser Leben, aber sie steht nicht zwischen uns.«
»Und was ist mit dieser schwer verletzten Joan, was ist mit Tatjana, deinem Kind?«
»Ich werde mich um sie kümmern, um beide, aber was hat das mit unserer Liebe zu tun? Mary, ich brauche dich, ich will nie wieder allein sein. Du schenkst mir die Geborgenheit, nach der ich mich ein Leben lang sehne. Wenn du bei mir bist, ist mein Dasein vollkommen. Du gibst mir die Ruhe, die ich brauche, du gibst mir die Kraft, die mir oft fehlt, und das Vertrauen, wenn ich zweifle, und ich zweifle sehr oft an mir, Mary.«
»Ach, David, wie kannst du so sicher sein, dass ich dir das alles geben kann? Du kennst mich doch noch gar nicht richtig.«
»Mary, so etwas fühlt ein Mann, das spürt er im ersten Augenblick der Begegnung. Ich habe es doch auch gewusst, von Anfang an, aber ich war vorsichtig, ich wagte nicht, meinen Gefühlen zu trauen, ich war unsicher, weil ich diese Liebe noch nie erlebt hatte, ich musste mich doch selbst erst prüfen.« Er legte ihr den Arm um die Schulter und zog sie an sich. »Komm mit, Mary, lass mich nicht allein, ich würde es nicht ertragen.«
»David, ich danke dir für deine Liebe. Ich liebe dich doch auch, ich brauche dich auch, ich kann mir mein Leben ohne dich auch nicht vorstellen. Aber ich muss dich fragen: Was wird mit Tatjana?«
»Sie ist mein Kind, sie ist ein Teil meines Lebens, und ich werde sie als Teil meines Lebens behandeln. Sie wird in ›Lone House‹ leben, das musst du einsehen, aber sie wird nie zwischen uns stehen, das verspreche ich dir. Sie hat ihre Nanny und sehr bald eine Gouvernante, und spätestens mit zehn Jahren wird sie in ein Internat gehen, das ist so üblich in unseren Kreisen.«
»Du wirst erwarten, dass ich mich um sie kümmere.«
»Ich erwarte, dass du sie lieb hast. Aber ich erwarte nicht, dass du Mutteraufgaben übernimmst. Wir werden zusammenarbeiten, wie wir es geplant haben, und wir werden zusammen Tatjana betreuen, wenn wir in ›Lone House‹ sind. Sie wird neben uns stehen, aber niemals zwischen
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