Schreckensgalerie (Patricia Vanhelsing, die Jägerin der Nacht) (German Edition)
habe keine Ahnung, was Sie meinen!" erklärte ich.
Er hob die Augenbrauen, während ich mich ungefragt in einen der tiefen Ledersessel fallenließ, die schon seit ewigen Zeiten ihren Platz in Swanns Büro hatten. Swann hatte mir zwar keinen Platz angeboten, aber ich hatte einen harten Tag hinter mir und mir einen Sitzplatz mehr als redlich verdient, wie ich fand. Swann erhob sich indessen hinter seinem Schreibtisch. Er machte eine etwas unbedachte Bewegung und für einen kurzen Moment glaubte ich schon, daß er einen der in schwindelerregende Höhe angewachsenen Manuskriptstapel zu Boden reißen würde. Aber das geschah nicht. Der Stapel wankte zwar, hielt sich aber aufrecht.
Ich sah jetzt, was Swann in der Hand hielt. Es war ein Probeausdruck meines Artikels.
Er deutete darauf und meinte: "Ich will ehrlich sein, Patricia. Eigentlich hatte ich mir mehr von dieser Story versprochen..."
"Wir stehen noch ganz am Anfang, Mr. Swann. Scotland Yard tappt noch völlig im Dunkeln..."
Er lächelte breit.
"Seit wann sind Sie bei Ihren Recherchen auf die Angaben von Scotland Yard angewiesen, Patricia?" fragte er. Ich kannte Swann inzwischen gut genug, um zu wissen, daß diese Bemerkung aufmunternd hatte sein sollen. Allerdings verfehlte sie diese Wirkung vollends.
"Ich kann Ihnen nur sagen: Wir bleiben an der Sache dran, Mr. Swann", versicherte ich.
Swann nickte.
"Gut, tun Sie das! Und sehen Sie zu, daß Sie wieder mehr Biß in Ihre Arbeit hineinbringen. Wo ist übrigens Mr.
Hamilton?"
"Im Archiv. Wir machen Überstunden, Mr. Swann!"
"Ja, ja, schon gut!" wehrte er etwas bärbeißig ab. "Dann will ich Sie mal nicht aufhalten..."
*
Ein kühler Abendhauch wehte durch die offenen Fenster herein, während Rovenna Brennan den letzten Akkord ihrer namenlosen, düsteren Komposition spielte. Die Vorhänge bewegten sich durch den heftiger werdenden Wind. Draußen prasselte der Regen. Es war längst dunkel geworden.
Rovenna fürchtete sich vor der Nacht.
Sie wußte, daß sie kaum Schlaf finden würde.
Schon seit Jahren ging das so und es gab keine Aussicht auf Besserung. Rovenna schloß die Augen, lauschte einige Momente dem Prasseln des Regens. Der Wind heulte um die verwinkelte Brennan-Villa herum. Fensterläden klapperten. Raschelnd wogten Bäume und Sträucher hin und her.
Was soll ich tun? ging es der jungen Frau durch den Kopf.
Verzweiflung stieg in ihr auf und begann innerhalb weniger Augenblicke jede Faser ihrer Seele zu beherrschen. Das Klavierspiel war eine behelfsmäßige Möglichkeit, diesen düsteren Empfindungen wenigstens für eine Weile zu entfliehen. Aber im Augenblick gelang ihr nicht einmal das.
Sie erhob sich.
Der Wind bewegte ihr fließendes Gewand. Eine Gänsehaut bildete sich auf ihren nackten Unterarmen. Ihr Blick fiel auf ein Foto, das in einem goldfarbenen Rahmen auf dem Flügel stand.
Es zeigte einen jungen Mann mit dunkelblonden, nach hinten gekämmten Haaren, einem markanten Profil und einem sympathischen Lächeln um die Lippen.
Sie nahm das Bild in beide Hände und trat auf die Fensterfront zu. Draußen hatte es regelrecht zu stürmen begonnen.
Der Regen prasselte immer heftiger und Rovenna fühlte bereits die ersten Tropfen auf ihrer Haut.
Morris , dachte sie und drückte das Foto an sich, als würde es sich um ein lebendes Wesen handeln. Mein geliebter Morris Williamson...
Tränen rannen ihr über das Gesicht und die Kälte und der Regen, die von draußen hereindrangen, kümmerten sie dabei nicht. Sie bemerkte sie kaum.
Du wirst niemals zu mir zurückkehren, Morris , ging es ihr durch den Kopf. Ich habe alles versucht, aber was haben diese Bemühungen bewirkt? Nichts als Tod und Verderben... Es geht nicht anders. Die Suche nach deiner Seele muß ein Ende haben, wenn nicht noch mehr Unheil geschehen soll...
*
Tom brachte mich am späten Abend nach Hause. Noch bis weit nach Redaktionsschluß hatten wir im Archiv gesessen und versucht, mehr über die Brennan-Geschwister herauszufinden.
So hatte sich herausgestellt, daß das Karriereende der Rovenna Brennan offenbar mit dem Tod eines jungen Mannes namens Morris Williamson in Zusammenhang stand. Williamson war ebenfalls Musiker gewesen. Ein begnadeter Cellist, dem die Kritiker zu Füßen lagen. Offenbar hatte eine kurze, leidenschaftliche Liebesaffäre Rovenna mit diesem Mann verbunden. Eine Liebe, die jäh durch einen Verkehrsunfall beendet worden war. Morris Williamson hatte sich mit seinem nagelneuen Sportwagen zu Tode gefahren
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