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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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»Beruhige dich. Entspann dich.«
    »Mir geht’s gut. Okay? Gut.«
    Ein paar Minuten lang saßen sie stumm da und starrten auf den Bildschirm.
    »Wie hat er überhaupt ausgesehen?«, fragte Will.
    »Ich weiß nicht. Ungefähr so alt wie du. Vielleicht ein bisschen älter. Lederjacke. Dunkle Haare.«
    »Einer von uns? Ein Polizeibeamter?«
    »Ich weiß nicht. Warum fragst du sie nicht selbst?«
    »Vielleicht mache ich das.«
    Lorraine hielt es für besser, nichts mehr zu sagen.
    »Siehst du dir das an?«, fragte Will eine Weile später und nickte in Richtung Fernseher.
    »Nein. Du?«
    »Nein.«
    Er nahm die Fernbedienung und schaltete das Gerät aus. »Ich geh schon mal nach oben«, sagte er.
    Als sie ein paar Minuten später noch nicht nachgekommen war, ging er wieder hinunter. Lorraine stand draußen auf der hinteren Stufe, hatte den Mantel um ihre Schultern gelegt und rauchte einen Joint, dessen Geruch süßlich in die Nachtluft stieg.
    »Was macht das wohl für einen Eindruck, wenn du wegen Drogenbesitz verhaftet wirst?«, fragte Will.
    »Für dich? Ziemlich schlecht. Du wirst deinen Job aufgeben müssen, nehme ich an. Die Kinder kommen in staatliche Pflege.«
    »Nur über meine Leiche.«
    »Vielleicht kommt es ja nicht so schlimm.«
    Sie nahm einen letzten Zug, drehte sich zu ihm um und presste ihre Hüfte an seine Leiste, während er unter dem dünnen Stoff ihres Kleides ihre Wirbelsäule fühlte und seine Hand nach unten glitt. Als sie ihn küsste, war ihr Mund voller Rauch.
     
    Gleich am nächsten Morgen nahm Will an einer Sitzung im Polizeihauptquartier in Huntingdon teil:
Strategie des Umgangs mit verdeckten menschlichen Informationsquellen und ihrer Handhabung
. Verdeckte menschliche Informationsquelle. Früher hieß das V-Mann . Und davor Polizeispitzel.
    Als er schließlich nach Cambridge zurückkehrte, brummtenihm die Ohren von hochfliegenden Plänen, von Ausflüchten und bürokratischen Formulierungen: keine leichte Aufgabe, Fragen, die ein heftiges öffentliches Interesse erregten, mit der Notwendigkeit in Einklang zu bringen, laufende Ermittlungen oder spätere Gerichtsverfahren nicht zu gefährden; es war von entscheidender Bedeutung, die Identität von Quellen zu schützen, wenn nötig durch einen Antrag auf Befreiung von der Verpflichtung zur Informationsherausgabe, wie sie das Gesetz aus dem Jahre 2000 verlangte.
    Ein Grundsatz haftete ihm im Gedächtnis: Um das Verbrechen wirksam zu bekämpfen und die Gemeinschaft zu schützen, kann es bisweilen notwendig werden, gegen die Menschenrechte eines Individuums zu verstoßen.
    Vielleicht sollte er das Liam Noble erzählen, wenn sich ihre Wege das nächste Mal kreuzten.
     
    In der Mittagspause stieß Will zu Helen, die auf einer der Bänke am Rand von Parker’s Piece saß, der offenen Grünfläche, die sich gegenüber dem Polizeirevier an der Parkside erstreckte. Den Kragen gegen den kalten Wind hochgeschlagen, hielt sie die unvermeidliche Zigarette in der einen, einen Pappbecher mit Kaffee in der anderen Hand.
    Zwischen den Wolken war schwach die Sonne zu sehen.
    »Keine feste Nahrung dieser Tage?«, sagte Will und setzte sich neben sie auf die Bank.
    »Ich hab vorhin schon gegessen.«
    »Du kannst eins davon haben, wenn du willst.« Er wickelte die Folie von den Sandwiches, die er aus dem Wagen geholt hatte: Schinken und Käse mit Senf und Tomaten.
    »Hat Lorraine die für dich gemacht?«
    Will zuckte die Achseln. »Sie hat sowieso Schulbrote für Jake geschmiert.«
    Er hielt ihr eins hin, aber sie schüttelte den Kopf. »Was ist aus Pret A Manger geworden?«, fragte sie. »Dieses raffinierte Hühnchen-Avocado-Sandwich und das Zimt-Dingsbums?«
    »Zu teuer.«
    »Bei deinem Gehalt?«
    »Lorraine möchte, dass wir zu Pfingsten mit den Kindern in den Centerpark fahren. Das ist nicht billig.«
    Helen nahm einen letzten Zug aus ihrer Zigarette, wedelte den Rauch von Will weg und drückte den Stummel unter ihrer Sohle aus.
    »Sie hat dich gestern gesehen«, sagte Will.
    »Ach, wirklich?«
    »Wie du mit einem Typen auf dem Marktplatz rumgeknutscht hast. Offensichtlich steckte deine Zunge in seinem Hals. Ich frage mich, wie der arme Kerl geatmet hat.«
    »Du gehst mir wirklich auf die Eier!«
    »Die sind vermutlich auch ins Spiel gekommen. Früher oder später.«
    »Hör auf, Will!«
    Will lachte.
    »Ich meine es ernst. Kümmere dich um deinen eigenen Kram.«
    »Okay, okay. Aber wenn du nicht willst, dass die Leute über dich reden, solltest du dich in

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