Schrei Aus Der Ferne
Regionalregierung von Wales, fuhr der Bericht fort, hatte die Mittel für die Jugendfürsorge mit dem Ziel erhöht, die Selbstmordrate in den nächsten drei Jahren um zehn Prozent zu senken. Dummnur für die restlichen neunzig Prozent, dachte Will, die können vermutlich zum Teufel gehen.
Er schaltete die Rundfunknachrichten ab, indem er eine CD von den Arctic Monkeys einschob, drehte die Lautstärke auf und fädelte sich mit einem schnellen Blick über die Schulter in den abendlichen Verkehr ein.
7
Als Will zu Hause ankam, saß Jake am Tisch und mühte sich mit dicken Bohnen auf Toast ab; Susie saß angeschnallt auf ihrem Hochstuhl und Lorraine löffelte ihr geduldig einen Brei aus Hühnchen, Reis und Gemüse in den Mund. Langsam verzweifelte sie an den eigenwilligen Versuchen ihrer Tochter, alleine zu essen. Im Radio spielte Musik.
Will beugte sich hinunter und küsste Lorraine auf den Kopf, dann beugte er sich vor, um Susies Wange zu küssen; als er seinem Sohn durchs Haar fuhr und ihm auch einen Kuss geben wollte, wandte der Junge sein Gesicht schnell ab.
»Was ist los?«, fragte Will.
Jake krümmte die Schultern und antwortete nicht.
»Was hat er denn?«, fragte Will seine Frau.
»Ich wollte Tortellini machen, aber nein, er wollte Bohnen auf Toast, und als ich ihm dann sagte, er solle den Fernseher ausschalten und essen kommen, kriegte er einen Wutanfall und ich musste ihn praktisch herschleppen und hinsetzen, und jetzt tut er so, als wollte ich ihn vergiften.«
Will seufzte. »Komm schon, Jake, sei brav. Iss dein Abendbrot.«
Mit der Gabel schob Jake ein durchweichtes Stück Toast von der einen Seite des Tellers zur anderen.
»Jake …«
»Ist doch okay«, sagte Lorraine. »Lass ihn. Wenn er hungrig ins Bett will, ist das sein Problem.«
Will nahm eine Packung Orangensaft aus dem Kühlschrank, schenkte sich ein Glas ein und trank es aus, dann ging er nach oben, um sich umzuziehen.
Als er in einem verblichenen Sportoberteil und einer alten Jeans wiederkam, saß Jake immer noch mürrisch vor seinem Teller, hatte die Arme trotzig verschränkt. Lorraine war dabei, Susie aus dem Hochstuhl zu heben.
»Nimmst du sie bitte für eine Minute?«, sagte Lorraine und reichte ihm das Kind. »Sie ist am Einschlafen.«
Schnell zog Lorraine Jake den Teller unter der Nase weg, beförderte das Essen mit dem Messer in den Mülleimer und stellte ihn in die Spüle.
»Gut, junger Mann. Schnell nach oben und den Schlafanzug anziehen, Gesicht und Hände waschen und Zähne putzen.«
»Aber …«
»Kein Aber. Wenn du alles gut erledigst, liest dir dein Dad eine Geschichte vor, bevor das Licht ausgemacht wird.«
»Aber du hast mir versprochen …«
»Du hast gehört, was ich gesagt habe. Geh jetzt.«
Jake ruckte geräuschvoll seinen Stuhl zurück und trottete mit gesenktem Kopf und dem Gewicht der Welt auf den Schultern aus dem Raum.
Will und Lorraine lächelten sich müde an.
»Hektischer Tag?«, fragte Will.
»Nicht hektischer als sonst. Und bei dir?«
»Frag nicht.«
»Lust auf eine Tasse Tee?«
»Wunderbar.«
Lorraine füllte den Kessel an der Spüle und Will schob Susie an seiner Brust in eine andere Position. Wie immer war er überrascht, wie leicht sie sich anfühlte, wie zart ihre Knochen waren.
Will, überall gibt es Kinder.
Mit geschlossenen Augen drückte er sein Gesicht an Susies Kopf und atmete ihren Geruch ein.
Eine Stunde später hatten auch Will und Lorraine gegessen und saßen im Wohnzimmer. Die Vorhänge waren zugezogen und der Fernseher lief.
»Wie geht es Helen?«, fragte Lorraine.
»Gut, soweit ich weiß. Warum fragst du?«
»Ich glaube, ich habe sie heute in der Stadt gesehen.«
»In Ely?«
»Nein, in Cambridge. Sie war mit einem Mann zusammen. Am Marktplatz.«
»Zusammen?« Will setzte sich in seinem Sessel ein wenig auf. »Was soll das heißen, zusammen?«
»Zusammen wie in … Du weißt, was ich meine.«
»Woran hast du das gemerkt?«
Lorraine lächelte. »Den einen Moment schienen sie sich zu streiten. Den nächsten hat sie sich auf ihn gestürzt.«
»Gestürzt …?«
»Sie hat ihn geküsst.« Sie grinste. »Zungenkuss.«
»Am helllichten Tag?«
»Und wenn schon?«, sagte Lorraine amüsiert.
»Sie ist doch kein Teenager.«
»Und du bist nicht ihr Vater.« Lorraine lachte. »Wenn ich dich nicht so gut kennen würde, könnte ich denken, du bist eifersüchtig.«
»Jetzt redest du Blödsinn.«
»Um Gottes willen, Will«, sagte Lorraine lachend.
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