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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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der Öffentlichkeit nicht so hinreißen lassen.«
    »Tja. Du hast leicht reden.« Helen griff in ihre Tasche und klopfte eine neue Zigarette aus der Packung.
    »Die brauchst du nicht«, sagte Will und legte eine Hand auf ihren Arm.
    »Sag mir nicht, was ich brauche, Will«, entgegnete sie und schüttelte ihn ab. »Du bist nicht mein Arzt. Auch nicht mein verdammter Vater.«
    »Das hat Lorraine auch gesagt.«
    »Sie hat vollkommen recht.«
    »Ich bin dein Freund, habe ich zumindest geglaubt.«
    »Du bist mein Chef.«
    »Kann ich nicht beides sein?«
    Sie sah ihn an. »Vielleicht.« Dann zündete sie ihre Zigarette an und inhalierte tief. »Was immer du bist, es gibt dir nicht das Recht, mein Liebesleben zu kommentieren.«
    »Okay. Ich seh’s ein.«
    Er widmete sich wieder seinem Sandwich; Helen trank ihren Kaffee. Auf dem Weg zur Newmarket Road raste am Sportzentrum zu ihrer Linken mit heulender Sirene ein Krankenwagen vorbei.
    »Ist es was Ernstes?«, fragte Will. »Mit diesem Kerl?«
    »Vielleicht.«
    »Wie ernst?«
    Sie warf ihm einen Seitenblick zu. »Ernst genug, dass er seine Frau verlassen will.«
    »Mein Gott, Helen!«
    »Was anderes ist aber nicht im Angebot. Alle Männer, die du vögeln willst, sind entweder schwul oder verheiratet.«
    »Ist er etwa auch bei der Polizei?«
    Sie nickte zögerlich und sah ihm nicht in die Augen.
    »Wer ist es?«
    »Ist doch egal.«
    »Wer?«
    »Declan.«
    »Declan Morrison?«
    Helen nickte.
    »Gott, Helen, wie hast du das bloß hingekriegt? Hast du etwa die zehn ungeeignetsten Männer aufgereiht und dann den Sieger genommen?«
    Helen grinste. »Etwas in der Art.«
    »Wie oft war er verheiratet? Zweimal. Zwei Kinder aus derjetzigen Ehe. Es heißt, bevor das zweite geboren wurde, ist er schon fremdgegangen.«
    »Geschichten, Will, Gerüchte. Das ist alles.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt was?«
    »Ist das jetzt auch ein Gerücht?«
    Helen schüttelte verärgert den Kopf. »Hör auf.«
    »Womit soll ich aufhören?«
    »Halt mir keine Predigt.«
    »Okay.«
    Will packte die ungegessene Hälfte seines Sandwiches wieder ein und steckte sie in die Manteltasche. Declan Morrison war vor drei Jahren aus Sunderland nach Cambridgeshire versetzt worden, ein Ire, der erst nach Liverpool und dann in den Nordosten gegangen war. An der Parkside traf er mit ein paar Verwarnungen wegen Ungehorsams ein, die wie ein Damoklesschwert über ihm hingen; eine Anklage wegen übermäßiger Gewaltanwendung war zurückgezogen worden. Will hatte seine Frau ein paarmal getroffen: klein und schüchtern, auf puppige Weise hübsch.
    Morrison selbst war breitschultrig, etwa eins achtzig groß und hatte ein paar Pfund Übergewicht. Er vermittelte gern den Eindruck, Dummköpfe nicht ertragen zu können, Autoritäten anzuzweifeln und es zu genießen, das Kind beim Namen zu nennen.
    Will versuchte, sich Declan und Helen zusammen vorzustellen, schob aber den Gedanken schnell beiseite.
    »Wie in aller Welt ist es dazu gekommen, dass du dich mit ihm eingelassen hast?«, fragte er.
    Sie lächelte reuevoll. »Er muss mich in einem schwachen Moment erwischt haben.«
    »Als du gerade geatmet hast, zum Beispiel?«
    »Sehr witzig.«
    »Also, warum konntest du   – ich weiß nicht   – es nicht einfach machen und tschüss?«
    »Ach, Will   …« Sie lehnte sich an seinen Arm, legte ihre Hand über seine. »Du weißt doch, ich bin schrecklich romantisch.«
    »Und was wird da gespielt? Die Schöne und das Biest?«
    »Er ist nett. Wirklich. Hinter dieser ganzen Show und dem Theater. Ich mag ihn.«
    Will sah nicht überzeugt aus.
    »Und er ist toll im Bett.«
    »Das will ich gar nicht wissen.«
    »Du bist doch nicht eifersüchtig, Will?«
    »Nein, du kannst ihn gern haben.«
    Helen lachte und verschüttete Kaffee auf ihren Handrücken und ihren Rock. Will stand auf und sie schloss sich ihm an. Zusammen gingen sie auf das Gebäude aus Beton und Glas an der Parkside zu, das sie wieder an die Arbeit rief.
    »Glaubst du wirklich, er wird seine Frau verlassen?«, sagte er.
    »Das behauptet er jedenfalls.«
    »Sagen das nicht alle? Wenn ihnen nach einem Seitensprung ist?«
    Helens Gesicht verspannte sich. »Ist das so, Will? Du musst es ja wissen.«
    Die letzten Schritte legten sie schweigend zurück.
     
    Mitchell Roberts fuhr mit dem Bus nach Histon, lief um die Kirche aus dem dreizehnten Jahrhundert und den Burggraben herum und dann über das Gelände der alten Chivers-Marmeladenfabrik in Impington, bevor er den Bus zurück

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