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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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Ihre Sorte?«
    In Roberts’ Augen erwachte plötzlich etwas zum Leben. »Fick dich!«, sagte er. »Alte Schlampe! Fick dich, fick dich, fick dich!«
    »Mitchell Roberts«, sagte Will. »Ich verhafte Sie   …«
     
    Helen hatte recht gehabt. Ganz hinten in der Truhe, in der Roberts seine eigenen Kleider aufbewahrte, fanden sie MartinasBaumwollschlüpfer   – an einer Seite eingerissen und voller Flecken. Wie nicht anders zu erwarten, machte Martina selbst völlig widersprüchliche Angaben, die von einer Minute zur anderen variierten. Mitchell hatte sie überhaupt nicht angerührt, er hatte sie gezwungen, Sachen zu tun, er hatte gedroht, sie wegen Diebstahls anzuzeigen, wenn sie nicht mitmachte. Mitchell liebte sie, sie liebte ihn, wirklich. Sie hasste ihn, weil er ihr wehgetan hatte. Es war überhaupt nicht Mitchell gewesen, der diese Sachen mit ihr gemacht hatte, sondern jemand in einem roten Auto, der sie mitgenommen hatte. Es war ihr Großvater gewesen. Wirklich, der war es.
    Sie hatten ihn natürlich unter die Lupe genommen, den Großvater. Fragen, Beweismaterial, Proben von Gewebe und Körperflüssigkeiten, DNA.   Für den blutigen Striemen auf dem Gesäß seiner Enkelin nahm Samuel Jones bereitwillig die Schuld auf sich. Strafe, das brauchte sie. Davon hatte sie zu wenig bekommen, und das zu spät. Das war die Wahrheit. Jones starrte Will mit allzu klaren Augen an, als forderte er ihn heraus, ihm zu widersprechen, ihn zu fragen, warum sie lieber in einem Traktoranhänger auf den Strohschnipseln geschlafen hatte als in ihrem eigenen Bett, warum sie an Entwässerungsgräben entlang über offene Felder zu Mitchell Roberts’ Haus gewandert war, und das nicht einmal, sondern mehrmals.
    Am Ende gab es nichts, das darauf hindeutete, dass Jones seine Enkelin sexuell missbraucht hatte; wie Will meinte, hatte er sie lediglich in die Arme von jemandem getrieben, der das für ihn erledigt hatte.
    »Du kannst Jones nicht die Schuld geben«, sagte Helen. »Nicht für etwas, das jemand anders getan hat.«
    »Kann ich nicht?«, sagte Will.
    Die Analyse der Bisswunden und der Spuren von Sperma und Speichel auf Martinas Körper versperrte Mitchell Roberts’ Verteidigung jeden aussichtsreichen Weg. Allerdings gab es Bedenken, Martina in den Zeugenstand zu rufen, weil unklar war, wie sie sich verhalten würde. Deshalb akzeptierte die Staatsanwaltschaft zwei Schuldbekenntnisse wegen sexueller Übergriffe und eines wegen rechtswidrigen Geschlechtsverkehrs mit einem Mädchen unter dreizehn, und Roberts wurde zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt.
    Seither hatte er nach Wills Schätzung etwas mehr als die Hälfte verbüßt. Auf keinen Fall genug. Will wäre glücklich gewesen, hätte man ihn einsperrt und dann den Schlüssel weggeworfen.

5
     
    Ruth hatte nicht geglaubt, dass sie je wieder heiraten würde, nicht nach der Scheidung. Einer Scheidung, die Simon ihr zuerst ausreden wollte, weil er unbedingt beweisen musste, dass er verstand, was sie durchmachte, was sie dachte. Schließlich war es eine Zeit, in der sie zusammenhalten, sich gegenseitig helfen und unterstützen mussten. Weil er keine nahen Angehörigen hatte   – seine Eltern waren beide relativ jung gestorben und sein einziger Bruder lebte seit langer Zeit in Südafrika   – und zu seinen Kollegen lediglich oberflächliche Beziehungen pflegte, lief Simon ohne Ruth Gefahr, ins Schwimmen zu geraten. Seine unkomplizierte Fassade drohte in sich zusammenzufallen.
    Aber Ruth hatte sich selbst überrascht   – und Simon ganz sicher auch   –, indem sie sich nicht beirren ließ, und sobald ihm klar wurde, dass sie ihren Entschluss nicht rückgängig machen würde, war er rücksichtsvoller gewesen, als sie erwarten konnte, sogar versöhnlich, das musste sie ihm lassen. Und als es dann so weit war, als sie ihr vorläufiges Scheidungsurteil in der Hand hielt, fühlte es sich an, als hätte man ihr unter Narkose einen Zahn gezogen. Schlimmer war es nicht gewesen. Man ging hinein und nur Minuten später, so schien es zumindest, kam man wieder heraus. Zugegeben, die Zunge konnte zunächst nicht anders, als immer wieder zu der Stelle zu wandern, wo jahrelang dieser eine Zahn gewesen war, und nach einem Schmerz zu suchen, der nicht wirklich da war.
     
    Sie hatte als Erstes ihren Eltern von Andrew erzählt, war nach Cumbria gefahren, um ein Wochenende mit ihnen zuverbringen. Ihr Vater war im Wintergarten damit beschäftigt gewesen, etwas umzutopfen, und hatte

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