Schrei Aus Der Ferne
Suche Noten heraus und so weiter.«
Helen nickte. »Erinnern Sie sich daran, etwas gehört zu haben, nachdem Beatrice heute Abend hinausgegangen war?«, sagte sie zu Marion Huckerby und beharrte auf ihrer Frage. »Eine Stimme vielleicht? Jemand, der Beatrice gerufen hat? Ihren Namen gesagt hat?«
»Nein, nein.« Nervös. »Ich … ich glaube nicht.«
»Nichts?«
»Tut mir leid, nein. Ich wünschte, es wäre so. Ich wünschte, ich könnte helfen.«
»Und Sie wissen auch nicht, wie lange sie vor dem Haus gestanden und gewartet hat, bevor sie weggegangen ist?«
Tränen stiegen in Marion Huckerbys Augen, etwas schnürte ihr den Hals zu, und deshalb schüttelte sie den Kopf. »Tut mir leid, tut mir so leid.«
Ihr Mann streckte den Arm aus und tätschelte ihr die Hand. »Es muss auf Viertel nach sechs zugegangen sein, als ihr Vater an der Tür läutete«, sagte er. »Das heißt, sie muss davor gegangen sein. Als es klingelte, glaubte ich, es sei mein nächster Schüler, etwas zu früh. Marion rief von unten herauf, weil sie aus irgendeinem Grund glaubte, Beatrice wäre vielleicht noch einmal nach oben gegangen. Das war der Punkt, an dem uns klar wurde, dass etwas nicht stimmt.«Inzwischen war Will mit Andrew Lawson die Umstände des Verschwindens seiner Tochter nicht einmal, sondern zweimal durchgegangen und kam auf bestimmte Punkte zurück, um sie ein drittes Mal zu überprüfen. Lawsons Augen waren glasig, sein Körper erschlafft, eine Mischung aus Müdigkeit und verzögertem Schock; seine Antworten wiederholten sich monoton.
Er hatte seine Schule etwa fünf Minuten später verlassen als beabsichtigt, weil er sich mit einem besonders hartnäckigen Vater auseinandersetzen musste, und dann hatte ihn der stockende Verkehr noch weiter aufgehalten, sodass er schließlich etwa fünfzehn Minuten nach sechs bei den Huckerbys angekommen war. Er konnte es unmöglich genauer sagen. Beatrice wartete nicht auf dem Weg zur Haustür auf ihn, wie er gedacht hatte. Da er glaubte, sie wäre wieder ins Haus gegangen – möglicherweise, um die Huckerbys zu bitten, ihn auf dem Handy anzurufen –, hatte er geklingelt, und als Mrs Huckerby an die Tür gekommen war, hatte er gesagt, er wolle seine Tochter abholen.
Dann vergewisserte er sich schnell, dass sie nirgendwo im Haus oder im Garten war. Auch auf der Straße gab es keine Spur von ihr. Er rief zu Hause an, falls sie schon dort war, hörte aber nur seine eigene Stimme auf dem Anrufbeantworter. Er vermutete, dass sie das Warten satt gehabt hatte und beleidigt abgezogen war. Zu diesem Zeitpunkt war er nicht auf die Idee gekommen, dass sie den Bus genommen haben könnte.
Er stieg wieder in den Wagen und wählte die Strecke nach Hause, die sie wahrscheinlich genommen hatte. Erst jetzt kam ihm der Gedanke, dass sie zu ihrer Freundin Fiona zurückgegangen sein könnte. Fiona Davies. Aber als er dort anrief, sagte Fionas Mutter, nein, sie habe beide Mädchen wie üblich von der Schule abgeholt und sie dann zu den Huckerbysgebracht; als sie ihre Tochter am Ende der Stunde abgeholt hatte, wartete Beatrice immer noch darauf, dass ihr Unterricht beginnen würde. Sie war ihr auf der Treppe begegnet.
Nein, bestätigte Andrew, Beatrice hatte kein eigenes Handy. Und sie war auch noch nie gegangen, sondern hatte immer auf ihn gewartet, gleichgültig, wie spät er dran war.
»Ist es möglich, dass sie sich mit jemandem verabredet hat?«, fragte Will.
»Mit jemandem? Mit wem denn?«
»Ich weiß nicht, jemand aus der Schule vielleicht? Ein Junge?«
»Sie kennt keine
Jungen
.«
»Vielleicht jemand, den sie im Netz kennengelernt hat? In irgendeinem Chatroom?«
»Nein.« Andrew schüttelte entschieden den Kopf. »Wir haben immer darauf geachtet, wie und wann sie den Computer benutzt. Und außerdem« – auf seinem Gesicht zeichnete sich völliges Unverständnis ab –, »wie hätte sie sich mit jemandem verabreden können? Sie wusste doch, dass sie mit mir verabredet war.«
Nach Mitternacht stand Will in Beatrices Zimmer, wo nur ein kleines Licht in der Ecke brannte. Zuvor hatte er ihr Tagebuch durchgelesen und nach Namen gesucht, nach Verabredungen, nach irgendetwas, das einen Hinweis darauf liefern konnte, was geschehen oder wohin sie gegangen war. Mit Erlaubnis ihres Vaters hatte er Schubladen durchsucht, Briefe, alte Postkarten und flüchtige Notizen gelesen, die in Büchern zwischen den Seiten steckten. Auf ihrem Sparbuch waren dreiundvierzig Pfund, die sie seit
Weitere Kostenlose Bücher