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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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gewachsen ist, finden Sie heraus, ob es jemand anderen gibt, der mit ihm gehen und bei ihm bleiben kann. Dann machen Sie Schluss, damit Sie selbst ein bisschen Schlaf bekommen.«
    »Es ist in Ordnung, Sir. Ich fühle mich gut.«
    »Den Teufel tun Sie. Gehen Sie nach Hause und stellen Sie sich den Wecker. Wir brauchen Lawson heute Nachmittag, damit er eine Aussage macht. Ich möchte, dass Sie dabei sind.«
    »Und wenn das Mädchen anruft, Sir? Hier im Haus?«
    »Ich sorge dafür, dass jemand am Telefon bleibt. Jetzt gehen Sie los. Und hören Sie mit dem verdammten ›Sir‹ auf!«
    »Ja, Sir.«
    »Ich fühle mich sonst so alt«, sagte Will, aber sie war bereits losgeflitzt.
     
    Am Vormittag saß Andrew Lawson mit Will auf einer Bank auf dem Krankenhausgelände. Er hatte den Kopf gesenkt und hielt eine Zigarette in den zitternden Fingern, die erste seit Jahren. Sein Gesicht war grau, und er hatte schwere Tränensäcke unter den Augen. Er sah mindestens zehn Jahre älter aus, als er tatsächlich war, dachte Will. Er war buchstäblich über Nacht um Jahre gealtert.
    Es hatte ein gewisses Maß an Überredungskunst gekostet, ihn vom Bett seiner Frau wegzulocken. Ruth war außer Gefahr und schlief fest. Sie bewegte sich nicht, außer dass ihre Augenlider gelegentlich zuckten und dass sie stumm den Mund öffnete, wie um etwas zu rufen, vielleicht einen Namen.
    »Ich hätte sie nicht allein lassen dürfen«, sagte Lawson nicht zum ersten Mal. »Wenn ich das nicht getan hätte, wäre es nie passiert.«
    »Machen Sie sich keine Vorwürfe«, sagte Will.
    »Etwas früher«, fuhr Lawson fort, als hätte Will nicht gesprochen, »als ich zusammen mit Catriona bei ihr saß, schien sie einen Albtraum zu haben und hat mit den Armen um sich geschlagen und mit den Füßen gestoßen   – sie hat die Bettdecke einfach so weggestoßen   –, aber dann beruhigte sie sichwieder und sah beinahe friedlich aus, und ich glaubte, alles wäre in Ordnung. Ich bin ins Gästezimmer gegangen und habe mich hingelegt. Nur zehn Minuten, um mal die Augen zu schließen.«
    Er sah Will an.
    »Als die Polizeibeamtin sie gefunden hat, hatte ich schreckliche Angst, alle beide zu verlieren.«
    Die brennende Zigarette fiel ihm aus der Hand.
    »Beatrice, das war auch meine Schuld. Dass ich in meinem Büro mit diesem dämlichen Vater telefoniert habe, der sich endlos darüber ausgelassen hat, welch Unrecht seinem Sohn angeblich widerfahren ist. Und ich war so verdammt professionell, hab mich bemüht, ruhig zuzuhören und ihn zu beschwichtigen, anstatt ihn verdammt noch mal endlich abzuwürgen, damit ich meine Tochter abholen kann. Mein eigenes Kind.« Er schob eine Hand durch sein ergrautes Haar. »Ich habe mir mehr Gedanken um ihn und seinen Sohn gemacht als um mein eigenes Kind.«
    »Sie haben Ihre Arbeit getan«, sagte Will.
    »Ist es das?«, sagte Lawson mit Tränen in den Augen. »Meine Arbeit? Meine jämmerliche verdammte Arbeit.«
    Er legte sein Gesicht in die Hände und weinte.
    Will wusste, was er fühlte, und wartete. Die Zeit verstrich. Zuvor hatte er mit dem Pressesprecher der Polizei gesprochen; die Pressekonferenz war für den Nachmittag angesetzt worden, rechtzeitig genug für eine ausführliche Berichterstattung in den Abendnachrichten. Will hoffte immer noch, Andrew Lawson überreden zu können, daran teilzunehmen, zumindest auf dem Podium zu sitzen und vielleicht ein paar Worte zu sagen, die üblichen tief empfundenen Plattitüden. Sie würden zwei Fotografien von Beatrice benutzen. Eine war erst kürzlich in den Ferien aufgenommen worden und zeigte sie, wie sie glücklich lachte, die anderewar eine konservative Porträtaufnahme, wie sie die Spezialität von Schulfotografen zu sein schien, die Art von Foto, auf dem alle irgendwie gleich aussahen. Nach gründlicher Diskussion hatten sie beschlossen, auch noch ein Bild von Beatrice und ihrer Mutter in Umlauf zu bringen. Die beiden waren im Garten vor ihrem Haus, Ruth hatte den Arm um Beatrices Schulter gelegt und hielt sie an sich gedrückt. Mutter und Tochter. Stolz und Liebe in den Augen der Mutter.
     
    Helen war gegangen, um mit Gill Davies und ihrer Tochter Fiona, Beatrices Freundin, über die Stunden vor Beatrices Verschwinden zu sprechen. Keine von beiden konnte sich vorstellen, was passiert war oder warum es passiert war. Beatrice war genauso wie immer gewesen, und nichts, was sie zu Fiona gesagt hatte, deutete darauf hin, dass sie nervös oder aufgeregt gewesen wäre. Es hatte

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