Schrei in der Nacht
Wieso ist er
so unzuverlässig?«
Doolan seufzte schwer und lehnte sich in seinem Stuhl
zurück. »Die Polizei hält ihn im
Castlemore-Gefängnis fest. Gestern gelang es ihm, uns eine
Botschaft herauszuschmuggeln. Er läßt uns mitteilen, wir
sollten ihn herausholen, bevor sie ihn nach Belfast bringen. Wenn wir
ihn vor Gericht kommen ließen, will er umkippen und mit der
Polizei zusammenarbeiten. Er wird ihnen dann alles sagen, was sie
über die Organisation in Ulster wissen wollen, wenn sie ihm nur
versprechen, mit ihm gnädig zu verfahren.«
Fallon runzelte die Stirn. »Er muß
verrückt sein. Er weiß doch ganz genau, daß er als
erstes, wenn er wieder frei wäre, von der Organisation eine Kugel
verpaßt bekäme. Er würde besser daran tun, das Urteil
hinzunehmen und seine Zeit abzuwarten.«
O'Hara schüttelte den Kopf. »Er wird keine
Zeit mehr abzuwarten haben, wenn er einmal verurteilt ist. Er hat einen
Polypen erschossen und einen anderen zum Krüppel gemacht. Sie
werden ihn so hoch hängen, daß nicht mal mehr die
Krähen nach ihm hacken können.«
Fallon pfiff leise durch die Zähne.
»Dann gnade ihm Gott. Sie sind schon in guten Zeiten harte
Burschen, wenn man mit ihnen etwas abzumachen hat; aber wenn einer von
ihren Leuten getötet wurde, sind sie die reinen Teufel.«
»Sie sehen also, warum wir gerade zu Ihnen
gekommen sind, Mr. Fallon«, sagte Doolan. »Es ist niemand
weiter übriggeblieben. Keiner, der gut genug wäre, dieses
Ding zu drehen!«
Fallon lachte kalt. »Und ihr denkt, ich werde
meinen Kopf in das Wespennest stecken? Ihr müßt wahnsinnig
sein!«
»Soll das heißen, daß Sie sich weigern, uns zu helfen?« fragte Doolan.
»Ich werde nicht einen Finger
rühren«, erwiderte ihm Fallon. »Rogan hat einen
Polypen erschossen. Er wußte, was er tat. Jetzt muß er die
Konsequenzen tragen.« In seiner Stimme lag feste
Entschlossenheit.
Doolan drehte sich zu O'Hara um, aber der alte Mann
schien nicht zuzuhören. Er saß aufrecht, den Kopf zur Seite
geneigt, als ob er auf etwas horche. Plötzlich zog er sich hoch
und ging quer durch den Raum zum Fenster. Er starrte hinaus, und als er
sich wieder umdrehte, lag ein leichtes Lächeln auf seinem Gesicht.
»Reg dich nicht auf, Jimmy«, sagte er dann. »Es wird
alles in Ordnung gehen. Das Schlimme mit dir ist, du verstehst das
irische Temperament nicht!« Er kicherte in sich hinein und schob
sich zu seinem Stuhl am Feuer zurück.
In diesem Augenblick hörte Fallon durch den Regen
gedämpft das Geräusch eines Wagens. Er drehte sich um und
sagte zu O'Hara: »Was für einen schmutzigen Trick
führst du jetzt wieder im Schilde, O'Hara?«
Der alte Mann lächelte freundlich und zog seine
Pfeife hervor: »Keinen Trick, Martin. Psychologie! Eine feine
Sache, das; schließlich müssen auch wir mit der Zeit
gehen!«
Als der Wagen draußen hielt,
goß sich Fallon mit ruhiger Hand sein Glas voll und kippte den
Whisky in einem Schluck hinunter. Dann wiederholte er kurz: »Ihr
vergeudet eure Zeit, alter Knabe.«
Es klopfte an der Tür. Doolan stand mit einem
finsteren Blick auf und meinte zu O'Hara: »Was geht hier
eigentlich vor? Davon haben Sie mir nichts gesagt!«
O'Hara lächelte. »Mein eigener kleiner
Plan…« Dann nickte er beruhigend. »Öffne nur
die Tür, Jimmy.«
Doolan ging langsam auf die Tür zu und öffnete sie.
Als erstes sah Fallon nur den Mann, doch dann bemerkte
er, daß eine Frau an seinem Arm lehnte. Für einen Augenblick
glaubte er, sie trüge einen Mantel, doch dann, als sie ein paar
Schritte auf das Licht zu machte, sah er, daß sie nur einen alten
gelblichen Trenchcoat über die Schultern geworfen hatte. Sie
stützte sich auf einen Stock, mit dem sie ihren Weg ertastete. Ihr
Haar war schneeweiß und leuchtete im Lampenlicht wie ein
Heiligenschein.
Schreckliche Unruhe befiel Fallon, und seine Hand
krampfte sich um das Glas. In der Mitte des Raumes blieb die Frau
stehen, und ihr Begleiter ging zur Tür zurück. O'Hara stand
auf und sagte: »Ich bin sehr froh, daß Sie gekommen sind,
Maureen.« Dann ging er auf sie zu und nahm ihre Hand.
»Dieses Treffen wird Ihnen seltsam vorkommen, aber ich
wußte, Sie wollten noch mit ihm sprechen, bevor er geht, um
Patrick zu retten.«
Die Frau drehte ihr Gesicht dem Licht zu und starrte
mit dunklen, toten Augen in den Raum. »Wo sind Sie, Martin
Fallon?« fragte sie dann.
O'Hara wandte sich mit ausdruckslosem Gesicht zu
Fallon
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