Schrei in Flammen
dort zum Flughafen gefahren. Vormittags hatten sie ihr Blutproben abgenommen, damit abgeklärt werden konnte, ob sie als Knochenmarkspenderin für ihren Vater in Frage kam. Sie hatten sie darauf vorbereitet, dass es etwa eine Woche dauern würde, bis die Testergebnisse da waren. Wenn sie positiv waren, müssten weitere Proben genommen werden, um sicherzustellen, dass es sich um eine hundertprozentige Übereinstimmung handelte. Wenn sie als Spenderin in Frage kam, würde ihr im nächsten Schritt Knochenmark aus der Hüfte entnommen. Das war ein einfacher Eingriff, der höchstens eine leichte Schmerzempfindlichkeit zur Folge haben könnte. Katrine war das völlig egal. Sie hoffte nur, dass sie in Frage kam.
Sie hatte den Arzt gefragt, welche Konsequenzen es hatte, sollte sie als Spenderin nicht in Frage kommen, und hatte erfahren, dass ihr Vater dann auf eine internationale Warteliste gesetzt werde und man auf eine Übereinstimmung warten müsse. Die Frage, was war, wenn das nicht passierte, hatte sie sich aus Angst vor der Antwort verkniffen.
Ihr Vater hatte müde ausgesehen, aber der Tag mit ihm hatte sie etwas beruhigt. Oder hatte er sich besonders angestrengt, um einen gesunden Eindruck zu machen? Damit sie kein schlechtes Gewissen hatte, weil sie wieder zurück nach Dänemark musste? Sie empfand die Vorstellung, ihn zu verlieren, als zutiefst ungerecht, wohl wissend, wie sinnlos es in einem solchen Fall war, mit Begriffen wie »Gerechtigkeit« zu operieren.
In all dem Gedankenwirrwarr dachte sie wieder häufiger an ihre Mutter. Wie es wohl wäre, wenn sie noch lebte? Katrine konnte es sich nicht recht vorstellen und fragte sich, wie ihr Verhältnis als Erwachsene wohl gewesen wäre.
Die Beziehung zu ihrer Mutter war so anders gewesen als bei vielen ihrer gleichaltrigen Freundinnen. Vielleicht idealisierte sie aber auch, wie es zwischen ihnen hätte werden können? Wahrscheinlich. Sie hätte nur so unglaublich gern die Chance gehabt, heute mit ihr über all die Dinge zu reden. Um auch ihre Version zu hören. Was hatte sie so beschäftigt, und warum war sie so selten zu Hause gewesen? Wie hatte sie ihre Kämpfe erlebt? Und wie stellte sie sich die Beziehung zu ihrer erwachsenen Tochter vor?
Aber diese Chance hatte sie nicht. So war es nun einmal.
Das Flugzeug ging in den Landeanflug. Sie musste geschlafen haben, was kein Wunder war, schließlich war es spät geworden mit Fiona, und sie hatte viel zu viel Wein getrunken.
Sie war schnell aus dem Flieger und ging direkt zu ihrem Auto, das sie am Flughafen geparkt hatte. Es war kurz vor zehn. Bevor sie losfuhr, schaltete sie ihr Handy wieder ein. Eine Nachricht von … Per Kragh! Was wollte der denn von ihr? Sie hörte die Nachricht ab und lehnte seufzend den Kopf an die Nackenstütze.
Eine dänische Zeitung hatte den Artikel über die englischen Profilingexperten aufgegriffen und Per Kragh angerufen, um eine Stellungnahme des Leiters der Mordkommission zum Einsatz ebensolcher Spezialisten bei der dänischen Polizei zu bekommen. Er wollte sie vorwarnen, dass der Artikel morgen in der Zeitung erscheinen würde und dass er natürlich geantwortet hatte, bei der dänischen Polizei seien Mitarbeiter mit sehr unterschiedlichen Kompetenzen angestellt und dass man ausschließlich positive Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Beratern jeder Art gemacht habe. Er hatte die Nachricht, kurz nachdem sie ihr Handy ausgeschaltet hatte, auf ihre Mailbox gesprochen. Sie antwortete ihm mit einer kurzen SMS , in der sie sich für die Information bedankte und hinzufügte, dass er sich melden sollte, wenn er ihren Input brauchte.
Eine Stunde später war sie zu Hause. Sie duschte schnell und beeilte sich, ins Bett zu kommen. Aber sie konnte nicht schlafen und drehte und wälzte sich herum, obwohl ihr fast schlecht vor Müdigkeit war. Irgendwann stand sie auf, trank ein Glas Wasser und ging in den Garten. Sie schaute aufs Meer und dachte an Maja. Wer warst du? Und wie komme ich nur an dich ran?
*
Die Spannung an Bord der
Maria
war hoch. Der Kapitän hatte gerade angekündigt, dass es nicht mehr lange bis zum Kontakt dauern würde. Obwohl sie abwechselnd Wache geschoben hatten, waren weder Marco noch Thomas zum Schlafen gekommen, seit sie Puerto Banús verlassen hatten. Das alles war viel zu aufregend, sie waren wie auf Koks!
Marco atmete tief ein. Die Luft war warm und würzig, und er bildete sich ein, Afrika riechen zu können. Die leichte Brise kam aus Südwest, also vom Land.
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