Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern
Vorbereitungsstress nahmen die beiden Gründer nur am
Rande wahr, was in diesen Wochen draußen in der Welt vor sich ging. Die
Subprime-Krise in den USA erschütterte die Finanzmärkte. Die Preise für
Immobilien waren über lange Zeit rasant gestiegen, immer mehr Amerikaner
kauften sich mithilfe immer höherer Kredite immer größere Häuser. Bis immer
mehr zutage trat, dass der ganze Immobilienaufschwung nichts als ein
Schneeballsystem war, getrieben von faulen Krediten in riesiger Milliardenhöhe.
Am 15. September dann platzte die Bombe: Die für bombensicher gehaltene
Investmentbank Lehman Brothers, die wie so viele andere Institute kräftig in
diesen Immobiliengeschäften mitgemischt hatte, musste Insolvenz anmelden. Ein
Schock erfasste die Finanzwelt weltweit. Banken liehen Kunden und anderen
Banken von heute auf morgen kein Geld mehr, weil sie befürchteten, es niemals
zurückzubekommen. Und am 1. Oktober wollten Gentz und Schneider Zalando
starten. »Wir hatten hart dafür gearbeitet und freuten uns auf den Start und
dann kam so ein einschneidendes Ereignis«, beschreibt Gentz seine Gefühlslage
in diesen Tagen. Würde jetzt noch irgendjemand Geld in die Idee zweier junger
Männer investieren, Schuhe über das Internet zu verkaufen?
»Für uns war klar, dass wir jetzt noch sparsamer sein mussten.
Von den 50 000 Euro Startkapital mussten wir jeden Euro zwei- oder dreimal
umdrehen. Große Fehler konnten wir uns schlichtweg nicht leisten. Das zwang uns
von Anfang an zu einer hohen Risikoaversion. Wir mussten soviel optimieren, wie
es irgendwie ging«, sagt Gentz. Diese Erfahrungen der knappen Ressourcen in den
frühen Tagen sind Teil der Firmen-DNA von Zalando geworden. Noch heute werden
Neuerungen vorsichtig im Kleinen getestet, bevor die Geschäftsführer große
Summen dafür ausgeben.
Im Rückspiegel betrachtet allerdings, haben die Lehman-Pleite
und die sich daran anschließende Kreditklemme jungen Händlern wie Zalando im
Wettbewerb gegen den alten Handel vielleicht sogar geholfen. Für Arcandor zum
Beispiel, den Handelskonzern, der mit Marken wie Quelle und Neckermann neben
Otto noch immer zu den ganz großen Spielern im deutschen Versandhausgeschäft
gehörte, war diese Krise der letzte Sargnagel. Mit der Royal Bank of Scotland,
die fast über Nacht verstaatlicht werden musste, um nicht ebenfalls in die
Insolvenz zu rutschen, kam Arcandor-Chef Thomas Middelhoff buchstäblich über
Nacht einer von drei Kreditgebern abhanden. Die anderen beiden waren die
Commerzbank und die BayernLB, die bald ebenfalls vom Staat gestützt werden
mussten. Middelhoff bekam zwar in letzter Minute mithilfe kurzfristiger Kredite
und einer Kapitalerhöhung, die das Bankhaus Sal. Oppenheim in Köln zeichnete,
noch eine neue Finanzierung gestemmt. Doch als diese Kurzfristkredite im Juni
des folgenden Jahres fällig wurden, blieb Arcandor nur die Insolvenz. Zwar
wurde die Warenhauskette Karstadt anschließend in verkleinerter Form
weitergeführt, bei Quelle allerdings gingen Ende 2009 die Lichter aus. Dieser
große und traditionsreiche Versender, der aber immer für die jetzt zu Ende
gehende Zeit des gedruckten Universalkataloges gestanden hatte, verschwand vom
Markt. Otto übernahm zwar die Marke, hatte aber wenig Erfolg damit. Inzwischen
ist quelle.de nur noch ein Marktplatz unter dem Markendach von Otto. (Hagen Seidel,
»Arcandors Absturz«, Frankfurt/New York 2010)
Nach Jahren des Siechtums musste später auch die
Geschäftsführung des kleineren Versandhauses Neckermann zum Insolvenzrichter,
obwohl sich das Unternehmen schon früh einen E-Commerce-Anstrich gegeben hatte
und sich » neckermann.de «
nannte.
Neckermann und vor allem Quelle hatten stets einen hohen Anteil
ihrer Umsätze mit Schuhen und Textilien gemacht. Damit wären sie eigentlich
einer der großen Konkurrenten von Zalando gewesen. Eigentlich. Doch nun
begegneten sich beide – im übertragenen Sinne – allenfalls ganz kurz, nämlich
als Zalando auf dem Weg nach oben und Quelle/Neckermann auf dem Sturz nach
unten war. Die Milliardenumsätze, die die früheren Arcandor-Versender mit
Schuhen und Mode gemacht hatten, waren jetzt frei für andere Anbieter. Auch für
Zalando, wie sich schon bald zeigen sollte.
Doch darauf durften Gentz und Schneider in diesen turbulenten
Septembertagen des Finanzkrisenjahres 2008 nicht hoffen. Sie mussten ihre Seite
live schalten, was auch immer an der Wall Street in New York, in der Londoner
City oder im Frankfurter
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