Schröders Verdacht - Der Italien-Thriller (German Edition)
ansaugen. Ein Hin und Her, solange, wie er aushalten würde, bevor der Kältetod ihn von seinen Todesängsten und Höllenqualen befreien würde. Oder die Wolke würde das Segel zerreißen und ihn wieder ausspucken, bis er mit zerfetztem Schirm auf dem Boden aufschlug.
Wenn ich doch nur wüsste, wo oben und wo unten ist!, dachte er verzweifelt und winselte, während sein Kopf nach allen Richtungen gezerrt wurde. Kurz entschlossen hängte er sein ganzes Gewicht an die linke Steuerleine und zog den Schirm zu sich heran. Es gelang ihm, das linke hintere Ende zu packen. Er riss mit all seiner Kraft daran. Die linke Seite verlor ihre Form, aber die rechte flatterte weiter steif im Orkan der Wolke. Schröder wickelte die Leinen um seine Faust und versuchte, den Schirm Strang für Strang einzuholen. Zwischendurch entfuhr ihm jeweils ein leises Wimmern, das sich mit lautem wütendem Geschrei abwechselte. Er war pure Angst. Und er raffte das Tuch über ihm mehr und mehr zusammen.
Plötzlich kam sein Gleichgewichtssinn wieder in Funktion: Unten war dort, wohin ihn jetzt die Schwerkraft rasen ließ. Die Beschleunigung drehte ihm den Magen um. Als er sich gefangen hatte, zog er die Knie an seinen Körper heran, um die Skier zu stabilisieren. Die Spitzen zeigten nach oben. Über ihm flatterte das Knäuel Stoff, das ihn hierher gebracht hatte. Hoffentlich, dachte er, würde sich der Schirm öffnen, wenn er ihn wieder freigab, nachdem er die Wolke verlassen hatte.
Unaufhaltsam raste er dem Erdboden zu, den er immer noch nicht sehen konnte. Die Hagelkörner waren in der Zone, in der er sich jetzt befand, wieder zu Wasser geschmolzen: die beißende Kälte ließ nach, dafür wurde er jetzt bis auf die Haut durchnässt. Blitze zuckten und entluden sich, aber die konnten ihm hier nichts anhaben.
Der Lärm um ihn herum erstarb, der Orkan ließ nach. Er verließ die Wolke im freien Fall, der jetzt kaum noch vom Aufwind gebremst wurde. Als er nach unten sah, erkannte er den Boden, dessen Anblick ihm den Atem verschlug.
Er lebte, und er stürzte auf die Erde zu. Viel Zeit blieb ihm nicht. Er versuchte sich aufzurichten, was ihm jedoch wegen seiner Skier nicht gelang. Deren Spitzen zeigten immer noch nach oben. Er raffte den Schirm noch dichter, bis der größte Teil als Stoffballen zwischen Armen und Brust festgeklemmt war. Dann stemmte er seine Füße mit aller Kraft nach vorn. Nach dem dritten Versuch hatten die Skier einen Winkel von fünfundvierzig Grad gegenüber der Senkrechten eingenommen.
Mit den Händen umfasste er seine Schienbeine, wobei er den Schirm zwischen Oberschenkel und Oberkörper einklemmte, und gab den Skiern noch einen leichten Ruck. Der Wind drückte die Hinterenden der Skier jetzt nach oben, so dass er auf beiden Brettern in der Hocke zum Stehen kam. Tatsächlich: Er stand in der Luft! Dadurch, dass seine Waden von dem verknoteten Schal zusammengepresst wurden, hatten seine Skier die Wirkung eines Surfbrettes. Er spürte, dass er auf diese Weise steuern konnte.
Vor ihm, tief unten, lag der Gipfel des Kollinkofels, rechts die Grüne Schneid. Er fiel schnell, raste auf den Berg zu und erkannte die Eisenstange, die auf seinem Gipfel stand. Dann steuerte er – auf seinen Brettern hockend – nach rechts über die Schneid hinweg, die jetzt schätzungsweise sechshundert Meter unter ihm lag, und sah direkt nach Norden in das Valentintal. Jetzt war er der Wolke endgültig entronnen.
Es war soweit. Er betete um Glück. Dann schmiss er mit all seiner Kraft den Stoffballen nach oben. Der bunte Schirm flammte über ihm auf, die Schnüre entdrehten sich, wurden länger, und er spürte den befreienden Ruck: Er hing wieder am Segel. Nur an der rechten Seite waren einige Schnüre ineinander gedreht. Aber das Gerät ließ sich steuern. Der Rest würde für ihn vergleichsweise ein Kinderspiel sein – wenn der Hubschrauber die Suche nach ihm aufgegeben hatte.
*
Leclerq war geschlagen. Der Mann, der es gewohnt war, selbstsicher eine große Firma zu führen, sah jetzt aus wie ein Wrack: das Gesicht bleich, den Knopf seines Kragens geöffnet, die Krawatte zur Seite hängend. Unter seinen Achseln hatten sich große Schweißflecken gebildet. Den gesenkten Kopf hielt er in der linken Hand, die seine Stirn stützte, seine Augen waren leer.
Vogler erhob sich langsam von seinem Sessel und drückte auf die Stopptaste seines Diktiergeräts, das er bisher versteckt hatte laufen lassen. Er sah Leclerq immer noch an. Er war zufrieden mit
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