Schrottreif
dass Tschudi versucht hatte, ihn zu erpressen und sich damit seinen Anteil der Beute zu sichern. Er hatte zudem weit von sich gewiesen, in jener Nacht Tschudis Komplize beim Eindringen in FahrGut gewesen zu sein. Man hatte seine Fingerabdrücke mit den im Ladenlokal festgestellten Spuren verglichen, aber keine Übereinstimmungen gefunden. Das musste nichts heißen. Trümpy war an Verhöre gewöhnt. Allerdings konnte man bei seiner Vernehmung an Intensität zulegen. Vielleicht zu zweit, mit Streiff. The good guy and the bad guy, dachte sie selbstironisch. Sie würde gerne die Rolle des ›bad guy‹, oder besser, des ›bad girl‹ übernehmen. Jedenfalls hatte sie Trümpy nicht ins Wochenende entlassen.
Raffaela Zweifel hatte ihr Erschrecken nicht verbergen können, als sie sie nach Tschudi gefragt hatte. Das musste nicht viel zu bedeuten haben. Dass er umgebracht worden war, wusste sie zweifellos. Aber womöglich steckte doch mehr dahinter. An dieser Spur wollte sie mit Streiff weiterarbeiten. Am Montagmorgen würde er ihren Bericht in seinem E-Mail-Postfach finden. Um 11 Uhr würden sie diesen zusammen besprechen. Streiff hatte ebenfalls Informationen in Aussicht gestellt. Es ging vorwärts. Ob etwas dran war an dieser Verbindung zwischen dem Mordopfer Tschudi und dem Kleinkriminellenpaar Zweifel/Trümpy? Warum hatte Raffaela Zweifel so heftig auf den Namen Hugo Tschudi reagiert? Hatte er sie bedrängt? Hatte sie sich gewehrt? War ihr Temperament mit ihr durchgegangen? Aber warum spätabends im FahrGut? Ob die räumliche und verwandtschaftliche Nähe von Salome Zweifel, Raffaela Zweifel und FahrGut etwas zu bedeuten hatte? Auf jeden Fall waren es Möglichkeiten, die man überprüfen musste. Und sie hatte Lust darauf, das zu tun.
Sie schaltete den Computer aus, nahm den Mantel und ging. Linus, ihr Mann, hatte ein freies Wochenende und versprochen, einzukaufen und zu kochen. Er war kein begnadeter Koch, aber das war sie ebenfalls nicht. Sicher hatte er Koteletts und eine Flasche Wein gekauft. Sie freute sich auf einen gemütlichen Abend, sie wollte mit ihm den heutigen Fall besprechen. Seit dreieinhalb Jahren waren sie verheiratet und verstanden sich nach wie vor gut. Linus hatte vor etwa einem halben Jahr das Thema Kinder angeschnitten, aber sie waren sich unschlüssig. Sicher, Kinder gehörten irgendwie dazu, aber Zita sah sich nicht zu Hause sitzen und den lieben langen Tag ein kleines Kind bewachen. Man könnte versuchen, einen Krippenplatz zu ergattern, aber gleich ginge das Gehetze los wegen der Öffnungszeiten, und dann der Stress, wenn der Nachwuchs krank war. Und das musste man einkalkulieren. Zudem, so ein Kind war immer da, jeden Tag, mindestens 18 Jahre lang; selbst nachts, wenn es schlief, hatte man zumindest Pikettdienst. Na ja, Linus und sie waren noch jung und hatten ein paar Jahre Zeit, sich zu entscheiden.
Dienstag, 4. Woche
1. Teil
Salome Zweifel schlug die Augen auf. Keine Kopfschmerzen. Das erste Mal seit, ja, seit wann eigentlich? Was für ein Tag war heute? Vor fast zwei Wochen hatte sie diesen blöden Unfall gehabt. Ein Schwindelanfall. Und war dann über ein Bündel Altpapier gestolpert und mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen. Dumm. Aber war da nicht noch etwas gewesen? Sie betrachtete ihren Wecker auf dem Nachttisch. 6 Uhr. Irgendwann würde die Frau von der Spitex kommen, Dürst hieß sie, wenn sie sich richtig erinnerte. Die alte Frau setzte sich im Bett auf. Immer noch keine Kopfschmerzen. Keine Übelkeit. Kein Schwindel. In den letzten Tagen war sie manchmal aufgestanden und ein wenig herumgegangen, aber nur, wenn Frau Dürst oder Raffaela dabei gewesen waren und sie gestützt hatten. Ihre Pflegerin hatte gesagt, das sei wichtig für den Kreislauf und die Muskeln. Es war ganz gut gegangen, aber sie war immer froh gewesen, sich wieder hinlegen zu können. Doch heute fühlte sie sich zum ersten Mal fast ein wenig – wie sollte sie es nennen? Unternehmungslustig? Es war sehr angenehm, keine Schmerzen zu haben. Sie stellte das Radio an. Ein französisches Chanson. Das musste DRS 1 sein. Salome Zweifel hasste französische Chansons. Dennoch: immer noch keine Kopfschmerzen. Sie stand auf und ging ins Badezimmer. Vor ein paar Jahren hatte sie sich eine Dusche einbauen lassen, die sie betreten konnte, ohne über den Badewannenrand steigen zu müssen. Sie würde heute nicht warten, bis Frau Dürst kam, um ihr zu helfen.
Eine halbe Stunde später setzte sie sich im Wohnzimmer
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