Schsch!
du meinst, dass du noch nicht wieder sprechen kannst. Wenn du meine Ponys sehen willst, nickst du einfach.«
Angel blickte langsam auf, und Joseph stockte der Atem. Das Mädchen sah zutiefst verzweifelt aus. Als wolle es dringend etwas sagen, könne aber nicht. Oder dürfe nicht.
Daphne lächelte sie an. »Ponys?«, fragte sie erneut und nickte aufmunternd.
Nach einer scheinbaren Ewigkeit nickte das Mädchen ebenfalls.
Die drei Personen im Beobachtungsraum stießen unisono den Atem aus.
»Heiliger Strohsack«, flüsterte Heidi.
»Mädels lieben eben Ponys«, sagte Kate. »Könnten Sie es einrichten, dass die Kleine zu Daphnes Farm kommt?«
»Auf jeden Fall«, versprach Heidi. »Das kommt mir sogar sehr entgegen. Der Arzt wollte sie heute schon aus dem Krankenhaus entlassen und meinte, ich solle mich um einen Pflegeplatz kümmern.«
Kate zog die Stirn in Falten. »Ich hatte ihm bereits gesagt, dass er sich mit uns absprechen muss. Wir müssen Angel zu ihrem Schutz in Gewahrsam nehmen, wenigstens so lange, bis wir wissen, wer sie ist und in was für einer Gefahr sie sich befindet.«
»Genau das habe ich ihm auch gesagt. Er wollte trotzdem nicht von der Entlassung absehen. Medizinisch betrachtet besteht kein Grund mehr, sie dazubehalten. Aber wenn ich eine von der Polizei angeordnete Therapie in die Wege leiten muss, kann ich wahrheitsgemäß angeben, dass ich keine Zeit hatte, mich nach einer geeigneten Pflegefamilie umzusehen. Ich bringe sie morgen bis spätestens zehn Uhr zu der Farm, einverstanden?«
Heidi kehrte in den Raum zurück, wo Daphne noch immer mit dem Mädchen in den Armen am Boden kniete. Die Sozialarbeiterin streckte die Hand nach Angel aus, aber diese schlang ihre Arme um Daphne und hielt sie fest. Daphne schloss die Augen, und Joseph konnte sehen, dass sie mit den Tränen kämpfte.
»Angel, Schätzchen. Du musst jetzt wieder mit Miss Heidi gehen. Aber du darfst ganz bald meine Ponys sehen.«
Die Verzweiflung in den Augen der Kleinen schien sich noch zu steigern, aber sie ließ sich von Heidi hochnehmen. Erschüttert kehrte Daphne in den Beobachtungsraum zurück und flog direkt in Josephs Arme. Sie zitterte, und Joseph kam sich vor wie ein Schwein.
»Es tut mir so leid«, flüsterte er. »Ich hätte dich niemals darum bitten dürfen.«
»Doch, das musstest du sogar. Ich bin froh, dass du es getan hast. Sie will reden, aber sie fürchtet sich.«
»Vielleicht spricht sie ja mit den Ponys«, sagte er zärtlich. »Wie du damals.«
»Ja. Darauf hoffe ich.«
Kate räusperte sich. »Ich bin weg. Ich kümmere mich um den Personenschutz für das Mädchen morgen. Wenn sie den Täter identifizieren kann, ist sie eine gefährliche Zeugin. Außerdem schicke ich ihr Foto und eine Beschreibung des Mantels an die Zweigstelle in Manhattan, damit die Kollegen die Pelzhändler befragen, während ich mich in Washington umhöre.«
»Klingt gut«, sagte Joseph. »Danke, Kate.« Als sie allein waren, tippte er unter Daphnes Kinn und küsste sie. »Trotzdem tut es mir leid. Mir war klar, dass es hart für dich werden würde, aber ich wusste nicht mehr weiter.«
»Ich weiß. Und es ist wirklich in Ordnung. Aber könntest du mich trotzdem noch einen Moment im Arm halten?«
»Aber nur, weil du es bist«, neckte er sie, zog sie fester an sich und legte sein Kinn auf ihren Scheitel. Die Sekunden verstrichen in angenehmer Stille, bis sein Handy in der Tasche klingelte.
»Du solltest drangehen«, sagte sie. »Es ist bestimmt wichtig.«
»Das ist eine SMS , kein Anruf.« Aber er wusste, dass sie recht hatte. Angel war nur einer seiner Fälle, obwohl nur noch ein anderer so weit oben auf der Prioritätenliste stand – die Exhumierung von zwei Dutzend Opfern, die sie vor drei Wochen hinter einer Holzhütte in den Bergen West Virginias entdeckt hatten.
Die Arbeit ging nur langsam voran. Sie hatten die vergangenen Wochen damit verbracht, das Terrain mit Hilfe eines Bodenradars zu vermessen, um nicht versehentlich Beweise zu vernichten. Erst wenige Tage zuvor hatten sie angefangen, die Opfer aus der Erde zu holen.
Mit Ausnahme von einer Leiche. Alle Opfer waren junge Mädchen gewesen, bis auf einen männlichen Erwachsenen, den sie zuerst exhumiert hatten. Es hatte sich herausgestellt, dass es sich um Daphnes Vater handelte, der eines Nachts vor gut dreißig Jahren verschwunden war. Daphne hatte geglaubt, er habe sie im Zorn verlassen, doch tatsächlich war er in jener Nacht offenbar ermordet und verscharrt
Weitere Kostenlose Bücher