Schüchternheit der Pflaume
leise. Das Rieseln und Gurgeln der Stadt ist nur in stillen Augenblicken wie jetzt hörbar. Ich frage mich, ob die heimliche Wasserorgel der Straßen eine Besonderheit dieser Stadt ist oder ob sie in allen Städten spielt.
Mandelseife
Die Stühle unserer Dachterrasse sind mit krillfarbenen Plastikbändern bespannt. Als ich aufwache, liegt mein Kopf zurückgesunken auf der Lehne meines Stuhls. Im Nacken kann ich die Rippen der Plastikbänder fühlen. Mein Blick hängt am Bauch einer Wolke.
Du bist verschwunden. Dein Stuhl steht, wo er stand, als ich glücklich war. Meine Finger sind klamm und kalt. Aber lange kann ich nicht geschlafen haben. Das Licht ist noch dämmrig. Die Stadt gurgelt noch. Der Morgen schiebt zwei Nebelbänke aus dem Fluss.
Ich mache kleinere Schritte als sonst. Die Plastikperlen klimpern. Mein Zimmer ist dunkel. Ich gehe ins Bad. Zwei Handtücher liegen auf dem Boden und bilden eine gestreifte Insel. Ich schiebe die Insel mit dem Fuß zur Seite. Sie bekommt eine zusätzliche Bucht und zwei tiefe Täler. Ich werfe meine Kleider daneben, ein textiler Archipel. Wasser rauscht dampfend in die Wanne.
Mein Badewasser ist immer einen Tick zu heiß für mich. Die kleinen Strömungen und Turbulenzen fühlen sich noch heißer an. Sie wirbeln um meinen Körper und beruhigen sich kaum. Meine Haut wird rosig und mir schwindlig.
Ich zähle die Schachbrettfliesen auf dem Boden. Die Spiegelwand gegenüber verdoppelt den Raum. Ich zähle nahtlos in die Spiegelwelt hinein, zweiundvierzig, vierundvierzig. Ich komme beim Spiegelbild der gestreiften Handtuchinsel an, verliere den Faden und gebe das Zählen auf. Deine Stimme hängt noch in meinem Ohr. Gewisse Worte sagen sich besonders gut mit deiner Stimme, zum Beispiel Kaffeeautomat oder Gottmodus. Nur feige Arschgeigen spielen im Gottmodus, sagst du. Die Übermüdung hüllt meine Sinne in Watte. Wenn ich still liege, kann ich an der Oberfläche des Wassers meinen Herzschlag zittern sehen. Die kleinen Wellen verbreiten sich und berühren meine Zehen.
Je länger ich das Zittern beobachte, desto weniger kann ich still liegen. Ich plätschere. Ich spritze hinüber zur Spiegelwand. Ein paar Tropfen rinnen auf den Boden. Schließlich steige ich aus der Badewanne. Der Bademantel ist ein großer Baumwollflaum, der mich einhüllt wie etwas Zerbrechliches. Ich putze meine Zähne. Gehe in mein Zimmer. Will den Bademantel aufs Bett werfen. Plötzlich bewegt sich etwas. Bei den Gitarren, wo sich nichts bewegen sollte, bewegt sich etwas. Der Flaum zerfällt mir zu nutzlosen Flusen. Ein großer Umriss kommt auf mich zu. Ich starre ihm entgegen.
»Entschuldige«, sagst du.
Ich sage nichts.
Mein Schreck verwandelt sich in Wut, sekundenschnell, eine chemische Reaktion. Ich starre deine Brusttasche an, aus der ein roter Bleistift ragt. Den will ich in deine Brust rammen. Weil du noch hier bist, in meinem Zimmer, leise wie ein Dieb. Der Bleistift ist gut gespitzt. Er weist als schräger Pfeil nach oben. Mein Blick folgt ihm, wandert deinen Hals hinauf.
»Darf ich dein Badewasser benutzen?«, fragst du.
Ich frage mich, ob ich noch wütender werden soll.
»Du hast es nicht abgelassen«, sagst du.
Es klingt wie eine Entschuldigung. Ich pflücke den Bleistift aus deinem Hemd und werfe ihn gegen die Wand. Er klappert nur harmlos. Also greife ich nach deiner Brusttasche, und bevor ich denken kann, reißt sie mit einem lauten Ratsch von deinem Hemd. Ich halte den Fetzen in der Hand. Das ist besser.
»Ist noch warm«, sage ich.
»Spinner«, sagst du gereizt.
Ich werfe, was einmal deine Brusttasche war, aufs Bett, es verschwindet im Dunkeln, irgendwo zwischen Bettwäsche und Wand. Du funkelst mich an. Dein Hemd hat einen großen Riss quer über der Brust. Dass ich dir ein neues schulde, sagst du. Deine Stimme ist rau. Statt einer Antwort streife ich den Bademantel ab. Du versuchst, höflich zur Seite zu sehen, aber es gelingt dir nicht.
»Spanner«, sage ich.
Über deine Lippen kommt ein leises Lachen oder ein leises Fluchen, ich weiß nicht, was es ist. Ich raffe den Bademantel wieder an mich, umarme den Baumwollflaum, als wüsste ich nicht, wie man ihn anzieht. Er riecht nach Mandelseife. Du funkelst mich weiter an, sonst geschieht nichts.
»Ich geh ins Bad«, murmelst du irgendwann.
Im Vorbeigehen streifen deine Lippen meine Schulter. Was für ein feiger Flüchtigkeitskuss. Ich bleibe reglos stehen. Die Badewannenhitze verlässt langsam meinen Körper. Ich höre, wie du
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