Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
Vom Netzwerk:
Hemd zum Nähen abnähme, würde ich meine Hand hineinschieben, auf deine Haut. Dann wüsste ich, dass du keine Unterhemden trägst.
    Wie ist das passiert, würde ich fragen. Eine kleine Verrückte, würdest du sagen.
    Ich nehme das Hemd und flicke daran herum. Es wird eine grobe und hässliche Naht, aber weil das Hemd schwarz ist, wirst du es trotzdem tragen können, das Licht im Mokusei ist dimm genug. Ich denke ans letzte Silvester und mache die letzten Stiche.
    Sieben Nächte lang fielen wir ineinander. Mit glühenden Wangen hingen wir über Teetassen und Absinthgläsern. Wir streiften am Fluss entlang, rannten barfuß über vereiste Wiesen. Wir tranken Sencha oder Rooibos, um wieder warm zu werden, löffelten billigen Supermarktkaviar mit den besten Stücken meiner Teelöffelsammlung. Wasch deinen Schwanz, sagte ich, wenn ich dich in den Mund nehmen wollte. Nacht für Nacht hielten wir uns wach, bis der Schlaf über uns herfiel, ein neidischer Gott. Sieben Nächte lang fielen wir ineinander wie die Funken zweier Feuerwerke. Aber wir verloschen nicht. Wir erreichten keinen Boden.
    Wenn ich tanzte, lehntest du an der Wand und hieltest den Saal mit deinem schattigen Blick zusammen, mit dem Druck deiner Finger ums Cocktailglas. Tinkerndes Eiswürfelballett, ich war deine persönliche Plastikballerina, das dünne Figürchen in der Schneekugel, das quer über die Tanzfläche taumelt und zurück, je nachdem, wie du das Glas neigst.
    In deiner Wohnung gab es eine breite Fensterbank aus rotem Zedernholz. Dort saß ich oft und beobachtete, dich und die Menschen auf der Straße. Manchmal erschienst du mir noch ferner als sie. Wenn ich auf dem Zedernbrett saß, konnte ich mir vorstellen, nicht da zu sein. Ich konnte mir vorstellen, dass die Kaffeemaschine nur für dich allein gurgelt oder dass du eine andere Frau erwartest und dass der Spiegel überm Schuhregal mich nie gesehen hat. Ich öffnete trotz des Schneetreibens das Fenster und rauchte einen Zigarillo zum sechsten Stock hinaus. Im Rauch und den Flocken schwebte ich über der Fußgängerzone. Ein Bein hing aus dem Fenster, eines in deine Wohnung hinein.
    Ob es Fensterbretter wie dieses in deiner neuen Wohnung gebe, frage ich aus dem Kissenberg heraus, in den du mich geschubst hast. Die Nadel ist irgendwo unters Bett gefallen. Du murmelst etwas von Balkon und Balustrade und dass ich schon sehen werde. Dein ruhiger Atem kommt näher. Gleich wirst du der Kirschkernlutscher sein und nicht ich. Meine Nippel werden in deinem Mund hart werden, glattgelutscht wirst du sie ausspucken. Du hältst meine Handgelenke fest. Ich schließe die Augen. Meine Netzhäute simulieren ein wildes Schneetreiben, ein graues, dichtes Störbildtreiben. Ich strecke die Beine ins Wirbeln der Flocken.
    Später, ich rutsche vom Bett, streife ein Kleid über, lege eine Puderschicht auf, schwanke zwischen dem goldenen und dem roten Lippenstift und benutze Kajal und Wimperntusche. Im Mokusei läuft uns Matti über den Weg. Seine Schlüssel klirren auf unseren Tisch, Matti gleitet neben mich aufs Leder und richtet seinen Blick auf deine Hemdknöpfe. Seine Augen wandern Knopf um Knopf aufwärts, Bauchnabel, Magengrube, Solarplexus, Brustbein, bis knapp unter die Kuhle in der Mitte deines Schlüsselbeins, und springen von dort ins Gesicht. Ich glaube nicht, dass er die grobe Flicknaht auf deinem Hemd gesehen hat.
    Hallo, sagt Matti und stellt sich dir vor. Noch nie habe ich ihn ohne dieses beschwingte Lächeln gesehen, und es ist wohl der Grund, warum er überall schnell Anschluss findet. Mir ist dieses Lächeln suspekt, aber ich habe nichts, was ich gegen sein Lächeln einwenden könnte, außer vielleicht, dass Matti nicht nur den Körperbau eines Windhundes hat. Außerdem kann er Menschen mit seinem Blick nicht nur taxieren, sondern einhüllen. Immer wenn er mich ansieht, habe ich das Gefühl, er betrachte mich von allen Seiten zugleich. Das kann, je nach Laune, schmeichelnd bis einschüchternd sein. Du scheinst unbeirrt von seinem Surroundblick und beginnst ein Gespräch. Matti schüttelt seine braunen Locken in Position, und ich kann spüren, wie sein Hintern sich fester auf dem Leder installiert.
    Matti wohnt seit letztem Sommer in der Goldlaube. Er hat das große Zimmer im zweiten Stock, das Borg sandfarben gestrichen hat, mit Blick auf den Hinterhof. Lora hat sich im ersten Stock eingerichtet, maisgelb, und Lutz wohnt unten, schwimmbadblau, in der Kammer zwischen Küche und Haustür. Insgeheim

Weitere Kostenlose Bücher