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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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ließen es liegen. Sonnenlicht quoll herein. In den Augenbrauen meines Verlobten leuchteten ein paar Gräser stumpfen Goldes auf. Die Falten auf seiner Stirn sahen wie Risse aus. Ich wanderte mit den Augen auf seiner Haut entlang, die plötzlich in aller Härte sichtbar war, die Stoppeln auf der Oberlippe, die Poren seines Kinns. Ihn zu lieben, sein Gesicht als Ganzes zu sehen, gelang mir seit Tagen nicht mehr. Seine goldenen Augenbrauen, dachte ich, sind alles, was der Moment noch hergibt. Ich fühlte mich fern. Als sei mein Verlobter schon lange tot. Ich sehe weder sein Gesicht, dachte ich, noch werde ich je wieder seine Stimme hören. Noch im selben Moment verfiel ich in eine unbändige Leere. Ich wollte weg. Impulsiv sagte ich meinem Verlobten alles, die Leere, die Ferne, seine Augenbrauen. Er sagte nichts. Zwei Minuten später wollte er wissen, ob ich einen anderen kennengelernt hätte. Ich sagte nein. Ich war traurig, aber nicht traurig genug, um bleiben zu wollen.
    Es ist kein Problem, ein paar Tage, Nächte oder Monate mit mir zu verbringen, kein Problem, mir eine Birnholzkiste zu schnitzen, meine Zehen zu lutschen oder mir einen grasgrünen Stutzflügel zu versprechen. Aber Verlobungsringe tauschen, mich heiraten wollen, solche Pläne können nicht gutgehen.
    In der Küche finde ich einen von Borgs Kleeblattzetteln. Ob jemand seine Wäsche mitwaschen könne. Ich stecke seine Hemden mit meiner Bettwäsche in die Trommel und drücke auf Start. Mit einer Tasse Tee an den Lippen sehe ich dem Waschprogramm zu. Irgendwann steht Lutz neben mir. Ich frage ihn, ob er nicht mit Matti und Borg frühstücken gehen wolle. Er schüttelt den Kopf. Ich schlage ein gemeinsames Frühstück hier in der Küche vor und öffne verschiedene Schränke. Brot ist alle. Kaviar ist da. Ich lege ein paar Ananasscheiben und Räucherfisch auf einen Teller. Lutz macht türkischen Kaffee.
    Ich verliere mich in Kleinigkeiten, wundere mich, mit welcher Routine ich den Jasmintee zubereite. Mit welchem Geschick ich Grieß unter die Milch rühre. Vielleicht, weil Lutz zuschaut. Ich hantiere mit Eigelb, Eischnee, Zucker, Zimtpulver, Apfelmus. Bei meiner Großmutter gab es dieselben Gerüche, dieselben Geräusche, Schneebesen, Teelöffel, früher, wenn Moritz und ich unsere Herbstferien bei ihr verbrachten. Die Waschmaschine gurgelt vor sich hin. Lutz klappert zwei Schüsseln aus dem Schrank. Er spricht über seine Arbeit, sein Stottern ist wieder verschwunden. Wir essen langsam und querbeet. Seine Blicke bleiben manchmal an meinen Händen oder Lippen hängen.
    Als das Telefon erneut klingelt, ist schon später Nachmittag. Eine knappe Stunde später hält ein silberner Volkswagen vorm Haus. Ein Mann mit Fototasche begrüßt mich per Handschlag. Wir steigen in seinen Wagen, der glänzt wie die nassen Dächer. Wir fahren hinaus vor die Stadt. Bald bleiben Häuser und Straßennamen zurück.
    Während ich fotografiert werde, ist mein Körper ein weißes Niemandsland. Ich betrachte meine Arme und Beine und ein paar Strähnen, deren Enden wie Pinselköpfe über meine Brüste streichen. Das Abendlicht fällt durch die milchigen Scheiben der alten Fabrikhalle und färbt alles in einem Honigton. Es ist staubig und kühl.
    Im hinteren Bereich der Halle hat ein Bildhauer seine Werke unter dicker Baumwolle begraben. Nur eines davon steht frei, unförmig, ein spröder Steinblock, wahrscheinlich unfertig. Ein rotes Sofa steht wie die Manifestation des Klischees in der Ecke gegenüber. Normalerweise sei es in weiße Baumwolltücher gehüllt, wie die Skulpturen, erzählt der Fotograf. Heute stehe es frei und wirke dadurch größer, bauschiger, lebendiger. Ein langes Sofatier, denke ich, das seinen fetten Samtkörper auf Goldpfoten knapp überm Boden hält. Vorsichtig krieche ich darauf herum. An der Wand hinter ihm stehen leere Bilderrahmen. Wir gehen weiter, rostige Leitersprossen und Geländer berühre ich ohne Scheu, hebe öliges Werkzeug auf, lehne mich an gräulich vergilbtes Holz. Lack platzt in spröden Blüten von einer Reihe alter Spinde. Weiße Taubenschisse, wie hingekleckste Gänseblümchen, bedecken den Boden. Der Fotograf und ich sprechen nicht viel. Die stille Zwiesprache mit den Dingen genügt. Je weiter ich mich durch den Staub und Rost bewege, desto schmutziger werde ich. Erst die Hände, dann die Schenkel, dann mein Hals, die feinen Nackenhaare. Gegenlicht, sagt der Fotograf.
    Ich denke nicht mehr an meinen Verlobten. Wenn ich fotografiert

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