Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
Vom Netzwerk:
und von heftigem Kopfweh. Du hast dich neben mich gesetzt, eine Flasche Mineralwasser und einen Teller Rührei in den Händen. Ich trinke vom Wasser und verschmähe die Eier. Ein daumendicker Bohrer dreht sich in Zeitlupe in meinem Kopf. Als ich mich aufsetze, verengt sich für einige Herzschläge lang mein Blickfeld zu einem dunklen Tunnel, und Glühwürmchen beginnen durchs Zimmer zu schwirren, quellen aus deinen Schränken, fluten über den Schreibtisch und verlöschen wieder. Mein Kreislauf geht auf Krücken, ich muss mich an den eigenen Knien festhalten, bis der Tunnelblick vergeht. Ich habe Fieber bekommen, meine Schultern schmerzen, mein Nacken ist ein Seemannsknoten. Von irgendwoher legt sich deine Hand auf meine Wange.
    Ich habe weder Zahnbürste, denke ich, noch frische Klamotten dabei. Ich will nach Hause. Da kannst du noch so oft sagen, dass ich bleiben soll, bis es mir bessergeht. Ich klettere unter heftigem Hirnpochen aus dem Bett, lehne dein Angebot, mich zu begleiten, so schnell wie möglich ab. Mir graust vorm Hinaustreten ins stechende Sonnenlicht. Also will ich erst recht nicht dabei beobachtet werden. Das Einzige, was ich von dir will, ist deine Sonnenbrille.
    Als die Tür hinter mir zufällt, rutscht alles, Stachelbeernote, leicht limonig, das Ledersofa, die gesprengte Schnellstraße und deine Pferdebrust in eine Schublade, die sich leicht zustoßen lässt. Vergangenheit, wie die Leute das nennen. Wäre nicht der Bohrer in meinem Kopf, der alle paar Minuten die Richtung wechselt, könnte ich so tun, als wäre nichts gewesen.
    Das Tageslicht schlägt noch härter zu, als ich befürchtet hatte. Es verwandelt mein Blickfeld in ein überbelichtetes Schwarz-Weiß-Foto. In dessen Mitte schwebt ein roter Ballon. Ehe ich begreife, dass er an einem Faden hängt und dass an dem Faden wiederum ein Kind hängt, ist er vorbeigeschwebt und in einer Straßenbahn verschwunden. Dann eine sich durchschleusende Touristengruppe, alle in gelben Windjacken und mit Rucksäcken, mit aufgeregten Blicken die Stadt und mich musternd. Ich starre sie an, wie sie mich anstarren, und trage meinen Kopf wie ein rohes Ei durch ihre Reihen. Auch sie hätten in die Luft fliegen können mit ihrem Reisebus. Die Grenze zwischen Bestand und Verfall ist eine dünne Linie, brüchig wie der Lack alter Parkbänke. Die Fundamente der Häuser, denke ich, könnten nachgeben wie morsches Holz. Der Bordstein könnte unter meinen Schuhen wegbröckeln, unter meinem Absatz zerkrümeln wie alter Käse. Auf diesem Treibsandgefühl gehe ich nach Hause.

Rolltreppen
    Über den Anschlag zerreißen sich in den folgenden Tagen Journalisten, Politiker und ein Haufen anderer Leute die Mäuler. Ich liege krank im Bett, Borg berichtet, pilgert mit drei verschiedenen Zeitungen durchs Haus und diskutiert. Die Herkunft des Sprengstoffs werde fieberhaft ermittelt. Die Täter wären noch nicht gefunden. Ich lasse mich mit einer apfelsinensüßen Gleichgültigkeit berieseln, gehe Debatten und Spekulationen aus dem Weg. Erst vermute ich, dass es am Kranksein liegt, aber nach drei Tagen wird mir klar, dass mich die Sache wirklich sehr viel weniger aufregt als den Rest der Stadt. Strukturen, die sich in Auflösung befinden, das durchschimmernde Chaos ist mir eine altvertraute Größe.
    Ich säusle Melodien vor mich hin. An einem Ort, wo Wüsten blühen, ist gut Kirschen essen, denke ich. Es geht mir wieder besser. Vor drei Tagen noch war ich ein irrsinniges Mädchen. Das nicht verwundert gewesen wäre, wenn ein lauter Knall durch die Straßen gehallt und blutig ihr eigener Kopf zersprungen wäre. Wir hätten anstelle ihres Kopfes ja schöne Fotos davon gehabt. Heute bin ich wieder geschmeidig und golden wie Reflexionen auf Honig.
    In meinen Mund steigen Kohlensäurebläschen und roter Saft, ich trinke, bis der Strohhalm im leeren Glas schlürft. Meinen Schreibtisch bedeckt eine Papierlandschaft. Ein Weinglas, ein halbes Dutzend Teelöffel und eine Damenkrawatte flankieren ihr östliches Ende. Obenauf wölben sich leere Blätter. Im Westen kriechen zwei Eidechsen aus Gummi.
    Vom Monitor meines Rechners glüht die Visualisierung eines Musikstücks, dessen Ton ich abgedreht habe. Eine virtuelle Flugbahn tunnelt sich durch schimmernde Abwasserkanäle, in denen die Gezeiten wie im Zeitraffer ablaufen. Bizarre Phosphorpflanzen wachsen und zerfallen wieder.
    Manchmal schwirrt eine Stubenfliege vorbei. Sie bleibt auf einem Blumentopf sitzen, in dem meine zerzauste Pflanze

Weitere Kostenlose Bücher