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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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sich. Am Hinterkopf ist es wirr und plattgedrückt. Der Mann sieht nicht aus, als hätte er heute gearbeitet, auf einer Kommode liegen mehrere Medikamentenpackungen. Als er Kaffeetassen aus dem Schrank holt und in den Vollautomaten schiebt, taucht sein Blick langsam aus der Tiefe auf. Wir tauschen uns über Alltägliches aus, über Kaffeesorten, über Küchenkräuter. Als er sich für einen Moment von mir abwendet, geschieht etwas, von dem ich behaupten könnte, dass es mich überrascht. Aber das wäre gelogen. Ich verliebe mich in seinen Ochsenrücken, seinen Lasttiernacken und seine gepflegten Schreibtischhände.
    Der Mann kramt fast eine Minute lang in seiner Schublade. Ich habe genügend Zeit, ihn zu betrachten. Groß ist er nicht. Sein Hintern ist wirklich breit für einen Mann. Er hat kleine Füße und Ohren. Die Erinnerung an seine Meeraugen legt sich über das Bild wie ein Firnis.
    Vielleicht bin ich ein Mädchen, das sich zu schnell verliebt. Ich sehe das Schöne überall, in Ochsen, Wölfen und Windhunden, in Bürohengsten, Käuzen und Papiertigern. Ich treffe all diese Männer, deren Unzulänglichkeiten und Schwächen irgendwas in mir berühren, und verliebe mich gerade in die Kehrseite dessen, was sie gern sein wollen. Ich glaube nicht an Traumprinzen. Ich bemitleide die ewig suchenden, ewig enttäuschten Prinzessinnen, die genau wissen, dass nur der Richtige kommen müsste, dass er nur das Richtige sagen müsste und dass genau sie die Richtige wären. Bullshit. Es gibt keine Märchenprinzen. Nur Männer gibt es. Und einer davon steht vor mir und hält mir dampfenden Kaffee entgegen.
    Langsam geht das Gespräch in abgelegenere Ecken. Blaum erzählt, dass er als Kind manchmal Blaumeise genannt worden sei und wie sehr ihn verdrossen habe, nicht Adler oder Fuchs zu heißen. Ich bin entzückt, dass der Anzugträger plötzlich ein schmolliges Jungsgesicht hat.
    Hätte ich mich nicht verliebt, wäre ich nach dieser Kindheitsgeschichte nach Hause gegangen. Hätte ich mich nicht verliebt, hätte ich vermutlich auch nichts von dir erzählt. Ich erwähne nicht viel, Eckdaten, der Mann in meinem Leben in drei Sätzen. Blaum hört aufmerksam zu und nickt. Es scheint für ihn nichts Neues zu sein, dass Frauen, die sich für ihn interessieren, sich auch für andere interessieren. Er übergeht das Thema. Stattdessen stellt er plötzlich eine Frage, die mir mitten im Gespräch für gewöhnlich nur Leute stellen, mit denen ich sehr vertraut bin.
    »Wie geht es dir?«
    Blindfügig, will ich sagen. Unfug und blindlings und gefügig, alles in einem Wort. Ich schmiege mich an mich selber und an die umgebenden Dinge wie ein biegsamer Katzenkörper. Diesmal ist es kein Ledersofa, sondern ein schwarzer Schalensessel. Ich sinke bis zum Anschlag hinein.
    »Gut«, sage ich.
    »Ich hatte zwei harte Wochen«, sagt Blaum.
    Er erzählt mir Businessgeschichten. Die Menschen, mit denen er arbeitet, sind wichtige Leute, Mittagessen mit diesem Geschäftsführer, Verhandlung mit jenem Vorstand, hinter verspiegelten Scheiben, Uniform geschlossen, Haar gekämmt. Ich denke an die Gitarren in meinem Zimmer, an Borg und den Bassmann, an verschlafene Morgenstunden in Mittelklassehotels, an Saskia mit der Germanistenbrille und an Loras schönen Lederarsch. Mir wird warm im Bauch. Mein Gegenüber bemerkt das abwesende Lächeln und fragt nach, ob er mich langweile. Ich sage ihm, dass ich seinen Businesskopf gern in meinen Schoß legen würde, den Schweiß von seiner Stirn wischen, seine Schreibtischsorgen in den Schlaf wiegen.
    Blaum steht auf. Neben einer großen Pfeffermühle liegen eine Chipkarte und die Schlüssel zu seinem Wagen. Die fallen herunter, als er mich auf den Küchenblock hebt.
    »Ich mag dich«, sagt er.
    Seine Tonlage ist tief und feierlich. Es klingt, als verleihe er einen Adelstitel. Vermutlich ist er kein spontaner Mann, sondern ein Rechner, ein Diplomat, der nie mehr Zugeständnisse macht als nötig. Er muss in Gedanken einige Wenn und Aber durchgegangen sein, bevor er meine Hüften fasste.
    Er beobachtet meine Reaktionen sehr genau. Er wirbt mit zeremonieller Hingabe, mit einem Ernst, der mir beinahe Angst macht. Ich senke die Stirn, wie im Beifallsregen der Bühne. Nachdenklich lasse ich meinen Blick an seiner Knopfleiste hochwandern. Spiele sein Spiel mit, schicke meine Hände auf Wanderschaft, beruhige seine Wenn und Aber mit kalten Fingerspitzen. Sein Haar fühlt sich weich und ungewaschen an. Sein Nacken ist hart. Seine

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