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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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Seite der Scheibe bleibt es still.
    Wir können so nicht ewig weitermachen, sagt der Bassmann in letzter Zeit immer öfter. Zwei Jahre, sagt er, maximal, wenn wir nicht in die Puschen kommen, sonst ist die Sache tot. Es muss was passieren. Wir sind vielleicht Portishead für ein paar Vorstadtfreaks, aber fünfzehn Jahre zu spät. Breiteres Publikum müsse her. Zweites Album. Tour. Du hast was drauf, Missy, du hast verdammt was drauf, beteuert er. Dir fallen Sachen ein, auf die würde ich im Traum nicht kommen, klasse, genial. Aber, und sein Ton wird schärfer, das reiche nicht. Die Frage sei nicht, wann wir zum Theremin auch noch unsere Glasharmonika kriegen. Ob unsere Texte mit britischer Gegenwartslyrik mithalten könnten. Glasharmonika sei der Hammer, Lyrik sei der Hammer, aber darum gehe es jetzt nicht. Ich weiß, Missy, es suckt, es suckt gewaltig. Wir beide haben nichts mit Mainstream am Hut. Trotzdem. Irgendwann brauchen wir einen Hit.
    »Prinzessin«, tönt es hinter mir.
    Borg will, dass wir ihm beim Streichen des letzten Kellerzimmers helfen. Mandarinenrot, sagt er, oder Puderpink, unser Gästezimmer. Symbolischer Akt, meint er, und danach grille er uns auf der Dachterrasse ein paar Forellen, zur Feier des Tages, dann sei die Goldlaube nämlich fertig.
    »Können wir hier noch was arbeiten? Dann nachkommen?«
    Der Bassmann und ich stehen vor ihm, zwar nicht Hand in Hand, aber wie verirrte Kinder, Hänsel und Gretel, Dick und Doof. Borg mustert uns. Dann wirft er dem Bassmann den Schlüsselbund fürs Tonstudio zu. Grinst. Na gut.
    Als wir zur Goldlaube kommen, schmoren bereits die Forellen, im Keller trocknet die Farbe. Im Briefkasten finde ich eine Faltkarte. Die Außenseite zeigt ein gekonnt fotografiertes Martiniglas, auf der Innenseite finde ich Blaums Handschrift, Einladung zur Cocktailparty, Standardtext. Erst im Postscriptum wendet er sich an mich. Zunächst eine Warnung, der Abend könnte ein bisschen steif werden. Wenn ich dennoch sehen wolle, mit welchen Leuten er sich tagtäglich herumschlage, sei ich herzlich willkommen. Allzu lang dauere so eine Stehparty nicht, schreibt er dann, und danach sei Zeit für uns. Als ich die Treppen hocheile, dem Forellenduft entgegen, rede ich mir ein, dass ich mir noch überlege, ob ich wirklich auf eine Cocktailparty will. Im Grunde weiß ich längst, dass ich hingehen werde.

Tabakblond
    Die Luft im Club ist mojitolastig. Wie immer bemerkst du mich schon von weitem. Du begrüßt mich mit einem süßsauren Blick. Dir gegenüber sitzt dein Kollege, auf dessen Schoß eine schlanke Frau, die vermutlich dessen zypriotische Freundin ist. Du hattest sie einmal erwähnt. Rechts neben dir hat mal wieder Peer angedockt, links sitzt eine kleine Tabakblonde, und neben dieser thront eine Frau in Rot, Paillettenkleid, Lackstilettos. Große Gefolgschaft für meinen traurigen Prinzen.
    Nestor kommt an den Tisch, die Paillettierte begrüßt ihn mit Küsschen, links, rechts, links, und lässt ihn während des folgenden Gesprächs nicht aus den Augen. Als er wieder abzieht, nimmt die Rote den Arm der Tabakblonden und bugsiert sie auf die Tanzfläche. Die Zypriotin schließt sich an. Ein neues Stück beginnt mit einem eingängigen Gitarrenriff. Der etwas komplexere elektronische Unterbau entwickelt sich erst langsam. Die Stimme des Sängers setzt schließlich ein paar ölige Schleifen darüber. Peer folgt den Frauen und bleibt am Rand der Tanzfläche stehen.
    Die drei Frauen bilden einen kleinen Kreis. Ihr Tanz wirkt mechanisch, ein Schrittchen rechts, ein Schrittchen links, als seien ihre Bewegungsradien eingeschränkt, als spulten sie Routinen ab, dächten an völlig andere Dinge als an die Musik. Ich bin mir sicher, dass sich ihr Tanz mit leichter Tempovariation auf fast jedes Musikstück anpassen ließe. Vielleicht liegt es an den hochhackigen Schuhen. Die Tabakblonde schließt manchmal die Augen. Die Paillettenfrau bewegt ihre Hände neben den wippenden Hüften, lässt sie auf die Höhe ihrer Schultern wandern und wieder zurück.
    Ich schlüpfe zwischen den Tanzenden hindurch. Will in die Nähe der drei Frauen. Sie kennen mich bestimmt nicht. Für sie werde ich eine fremde Tänzerin sein, eine Dahergelaufene mit bunten Schuhen und einer wirren Hochsteckfrisur. Du hingegen kennst mich. Siehst mich. Wirst mich beobachten. Dein Blick wird mich kitzeln. Und während die drei Frauen ihren Ententanz machen, werde ich mich von der Musik durchkämmen lassen, keine Feder bleibt

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