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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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Grillfest deines Kollegen kennengelernt, sie sei die Halbschwester der zyprischen Freundin und Geschäftsführerin eines Feinkostladens in der Paradiesgasse. Seit Tagen hättest du mir davon erzählen wollen. Hättest mich nicht erreicht. Deine schwarzen Augen studieren meine Verwirrung. Aus deinem Blick zu lesen, was Annes oder Anjas, Katjas oder Sandras Auftauchen für mich bedeutet, fällt mir schwer. Die Bedeutung deiner Worte zu erraten ist schwer genug.
    Plötzlich greifst du fester zu. Lässt ein Ausweichen meines Blickes nicht zu. Beugst dich herunter, unsere Stirnen berühren sich fast, dein studierender Blick wird ausgesprochen zärtlich. Schließlich lächelst du, ein vorsichtiges Amüsement schwingt mit, deine Augen beginnen zu leuchten. Ob ich stolz darauf sein soll, dass ich und mein Schreck diejenigen sind, die letztlich deine Laune heben, weiß ich beim besten Willen nicht. Einerseits will ich dir ins Gesicht spucken, mich losreißen, andererseits mit dir schlafen, sofort mit dir schlafen, mich an deiner Brust aalen, ein dummes, eifersüchtiges Mädchen.
    »Hey«, sagst du.
    »Hey«, sage ich.
    »Hey, aufwachen«, sagst du.
    »Okay, aufwachen«, sage ich ohne viel Elan.
    »Und wie immer«, fügst du hinzu, »keine Angst haben. Komm mit.«
    Du führst mich ins Freie, wo es leiser ist. Melodiefetzen und der allgegenwärtige Bass wehen uns wie Rauchschleier hinterher. Ich erfahre, dass Anja in Wirklichkeit Damla heißt, was türkisch sei und Tropfen heiße. Der Name gehe auf ihre Großeltern zurück, sie selber spreche weder Türkisch noch Griechisch. Den Feinkostladen habe sie geerbt. Sie scheine dich gern zu haben und du wollest jetzt wissen, wo die Sache hinführt. Eine Gelegenheit allerdings, der tabakblonden Feinkostkatze zu erzählen, dass da noch eine andere Frau sei, habe sich bisher nicht ergeben. Aber du wollest es nachholen, möglichst bald. Du wollest niemanden belügen.
    Ein Pulk Leute nähert sich, albernd und trällernd. Er drängt ins Innere des Clubs und erinnert mich daran, dass der Abend gerade erst begonnen hat. Ich atme tief durch. Du fragst mich, ob du wieder reingehen könnest. Ob mit mir alles klar sei so weit. Ich nicke. Insgeheim will ich in dich schlüpfen wie in einen Mantel. Nicht frieren, nicht zittern. Mein Blick verrät es vielleicht. Du hältst mich fest. Küsst mit unverschämt langsamen Samtlippen meine Schultern, meinen Hals, meinen Mund.
    Drinnen küssen wir uns noch mal. Ob Damla etwas mitbekommt, ist dir tatsächlich egal. Ich werde ruhiger. Ich weiß, wie sehr du meine Küsse liebst. Sie seien wie meine Musik, sagtest du einmal, Rhythmus, Improvisation, Dynamik. Ich frage mich, ob man jemandem überhaupt das Kompliment machen kann, er küsse gut. Zu einem guten Kuss gehören schließlich immer zwei.
    »Komm rüber, wenn du Lust hast«, sagst du, bevor du dich abwendest, und dein Blick macht mir Mut.
    Die Tanzfläche ist halb gefüllt. Nestor beginnt zu härterer Materie zu greifen, die Musik fährt mir unters Kleid wie ein straffer Wind. Ein gewisser Teil der Tänzer sortiert sich zurück in die Sofas, dafür strömt ein anderer Teil begeistert auf die Tanzfläche. Ich frage mich, zu welchem Teil die tabakblonde Perserkatze wohl gehört. Sofa, tippe ich, über die harten Töne zieht sie bestimmt ihre gezupften Augenbrauen hoch. Ich tanze.
    Ich tanze, damit mir das Geräusch meines Schwanengefieders wieder zu Kopf steigt, spanne die Flügel, recke den Hals. Der Rhythmus hat mich wieder. Nestor thront auf seiner Kanzel, trägt neongrüne Kopfhörer und schwarze Markenhemden. Er wirkt wie weggetreten. So verbringt er jede Woche viele Stunden, inmitten teurer Hochglanztechnik in seine Playlists versunken. Die wenigsten haben je ein Wort mit ihm gewechselt. Insgeheim wünsche ich mich in seine Bastion aus geschliffener Akustik hinauf, auf diesen Gipfel seines Großstadtolymps, wo weder getanzt noch gelitten wird.
    Als ich das nächste Mal hinübersehe, verschwindet die Tabakblonde gerade von deinem Tisch. Wenig später taucht sie wieder auf. Sie hält zwei Cocktails in der Hand und setzt sie mit betontem Hüftschwung ab. Die rote Paillettenfrau kommt gleichzeitig an den Tisch zurück, die beiden Frauen konspirieren kurz. Die Hände der Paillettierten wandern durch ihr Haar, streichen einige Strähnen glatt. Sie nickt mehrmals, dann wird Rücksprache gehalten, und bald darauf erheben sich sowohl Peer als auch du.
    Ich sehe Damla mit dir aus meinem Sichtfeld verschwinden.

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