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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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Lachen sei es gewesen, eher Kichern, ein Kleinmädchenlachen und Genuschel dazwischen.
    Ich schlafwandle also nicht nur. Sondern führe ein plapperndes Nachtleben obendrein. Irgendwann werde ich meine Passwörter im Schlaf ausplaudern. Dir gefällt es natürlich, Dinge über mich zu wissen, die ich selbst nicht weiß. Vermutlich weiß ich nur halb so viel über dich wie du über mich. Über deinen Skepsisblick, dein Rabenhaar, deine sehnigen Computerhände.
    Was weiß ich überhaupt. Wo fange ich an. Vielleicht bei deinen Gewohnheiten in der Schulzeit, bei grauen und roten Krawatten. Bei Pausen, in denen du mir entgegenkamst, aus dem Physiksaal kommend, die Aula durchquerend, den Innenhof. Wir wechselten nie ein Wort. Der traurige Prinz, so nannte ich dich in meinem Kopf. Wärst du nicht ein paar Jahre später wieder aufgetaucht, hätte ich diesen Titel und dich mit Sicherheit vergessen. Etwas Ernsthaftes lag immer schon in deiner Erscheinung, etwas Nachdenkliches, das mich an einen Adligen erinnert, der sich aus seinen verflossenen, adretten Brokatwelten in die Gegenwart verirrt hat. Der insgeheim vielleicht seine aparten Gemächer, strenge Sitten und den Fechtunterricht vermisst.
    Die ersten paar Worte wechselten wir vor zwei Jahren. Friedrichstraße, Fischgräthose, ich erkannte dich sofort. Kurz darauf an der alten Brücke, ein Kollege und du, Aktenkoffer, Laptoptasche. Zum dritten Mal lief ich dir beim Botanischen Garten über den Weg, roter Schirm, Rollkragen. Dein Blick glitt in meinen, widerstandslos. Ich mag keinen Smalltalk und du auch nicht. Ich schlug ein Café vor.
    In den folgenden Monaten sah ich dich häufig. Wir hielten eine sorgfältig bemessene Distanz, wie bei einem höfischen Tanz. Wir näherten uns allenfalls in Trippelschritten. Als hätten wir alle Zeit der Welt. Als hätten wir zwei bunte Flüssigkeiten aufeinandergekippt, einen zweifarbigen Cocktail aufgeschüttet, vorsichtig, und bewunderten jetzt das Schwanken der Schichten aufeinander. Beide gebannt, beide selig. Keiner wollte umrühren und trinken.
    In diesem Cocktail war ein Schuss von etwas Altbekanntem. Ich konnte die Note riechen, scharf und deutlich, sie erinnerte mich an ein englisches Wort. Intoxicating. Ich war verliebt. Wie immer. Toxisch, dachte ich, das klingt auf Deutsch viel gefährlicher, nicht berauschend, sondern giftig. Gift ist aber im Englischen das Wort für Geschenk, eine Gabe. Mein ständiges Verliebtsein, ein Talent, eine Gabe, so wie die heißkalten Glücksbäder und meine Sehnsucht nach Musik.
    Das Telefon klingelt. Verdattert nehme ich die Hände von den Ohren. Haste ans Telefon. Es ist der Bassmann.
    »Alles okay? Wo bleibst du?«
    Ich habe noch nie einen Probentermin verschwitzt. Bis heute. Ich reiße eine Gitarre vom Ständer und packe sie ein. Beim Zuschmettern der Balkontür trifft mich ein vorwurfsvoller Blick der Nachbarin. Ihr gelbes Kopftuch leuchtet. Guten Morgen, denke ich, hier ist das Mädchen, das sich zu schnell verliebt.

Puderpink
    Zwei Schreibtischlampen, ein achtundzwanzig Zoll messender Monitor und ein Laptopdisplay erhellen spärlich die Backsteinhalle. Ich biege den Mikroständer zurecht, starte die Aufnahme und versuche, dem alten Cello ein paar kraftvolle Töne zu entlocken, ein Melodiefragment, ich habe es klar im Kopf. Es gelingt mir nicht. Wird der Bassmann machen müssen. Ich packe stattdessen die Edelstahlschüssel aus, die ich aus der Goldlaube mitgebracht habe, und streiche mit dem Cellobogen über ihre Ränder, erzeuge scharrende, singende Klänge. Zerknülle Zeitungspapier, rhythmisch, knülle, reiße. Ich trommle auf dem Cellokorpus, fülle Wasser in die Stahlschüssel, schwenke, streiche wieder mit dem Bogen, Schwingungen, Soundsuche, Geräuschfang.
    Ich schneide, sortiere und benenne die Samples. Für die elektronisch zugespielten Hintergründe meiner Songs kann ich alles Mögliche brauchen. Ich presse mir Borgs Kopfhörer auf die Ohren, bediene Schieberegler, lausche in die Klangstrukturen hinein. Speichern oder löschen oder eine neue Aufnahme starten.
    Borg und der Bassmann sitzen im Aufnahmeraum und reden. Ich versuche, nicht daran zu denken, dass sie über mich reden könnten. Der Bassmann, der Noten lesen kann, der schon in Orchestern gespielt hat, der mehr will, als nur im Uniradio ausgestrahlt zu werden, war bei der heutigen Probe nicht zufrieden mit mir. Er ist selten zufrieden. Jetzt nimmt er seinen Bass, der an der Wand lehnte, und zupft ein paar Töne. Auf meiner

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