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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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wichtig. Was sie letztlich zusammenhält, ist verborgen, so vollständig, dass es nur dasselbe Verborgene sein kann, das alles, die ganze Welt, zusammenhält und von dem ohnehin keiner weiß, ob es existiert. Vielleicht hält gar nichts die Welt zusammen, und in dem Fall habe ich recht in der Annahme, dass ständig alles in die Brüche geht. Ich höre mich selbst lachen. Ich lehne mich weiter hinaus. Als hätte ich den Satz irgendwo gelesen: Ein gutes Buch beginnt damit, dass sich jemand weit aus dem Fenster lehnt. Aber ich bin kein Buch. Ich lehne mich nur in den Regen.
    Meine Gedanken brechen ab. Draußen geht ein Mann durchs Unwetter, blickt herauf, sieht wieder weg. Blickt nochmals, jetzt länger, und ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn du dieser Mann wärst. Was du sehen würdest, wäre ein nacktes Mädchen, das aus dem Fenster in ein Gewitter hineinragt. Der Regen tropft aus ihrem Haar, von ihren Brüsten. In der Hand hält sie ein Glas, und die Tropfen fahren so heftig in dieses, dass der Sekt darin schäumt und spritzt. Das Gewitter erhellt blitzweise ihre Haut, gleißt in kalten Funken in dem Glas, bewegt sich um das Haus mit dem Mädchen, als rede es mit ihr. Dieses Gewitter, das nun schon seit Tagen andauert.
    Aber du bist nicht der Mann dort draußen. Du schläfst in einer Ecke hinter mir einen unruhigen Betrunkenenschlaf. Ich liebe dich, aber diese Nacht gehört mir, gehört mir und dem Mann dort draußen. Das gefällt mir an dir, dass ich beides haben kann, ganz dich und ganz mich.
    Ich verfolge den Gang des Gewitters mit derselben Hingabe wie als Kind, lausche der wechselnden Kraft des Windes, zähle die Sekunden vom Blitz zum Donner, halte Ausschau nach den schönsten Blitzskeletten. Früher rannte ich bei Gewitter immer in unseren Wintergarten und stand dort, umspült vom Wetter, staunte begeistert in den Himmel. Manchmal schloss ich im Moment des Blitzes die Augen, um mir das Gleißen der Wassertropfen im grellen Licht einzuprägen, um mir die Blässe der Welt zu merken, ihr Anderssein in diesem scharfen Kontrast. Wenn plötzlich alles in einem fremden Licht erscheint, war ich schon immer wie gebannt. Deshalb liebe ich Dämmerungen und Gewitter, Theaterbühnen und Scheinwerfer, und vielleicht ist es auch ein Grund, warum ich so oft in Clubs und Diskotheken gehe.
    Noch Minuten nachdem der Mann verschwunden ist, strömt das Gewitter mir wasserklar auf die Stirn und ins Genick, den Rücken hinab und durch die Nase in beide Lungenflügel, bis zum Anschlag. Ich ersaufe darin. Von innen spült der Sekt durch meinen Kopf. Ich nehme einen Schluck davon und pruste ihn in die Nacht. Dann lasse ich mir vom Regen das Gesicht waschen und schlüpfe zu dir ins Bett.
    Die Leute sagen immer, das Glück sei nur ein kurzer Knall. Sobald jemand bemerke, dass er glücklich sei, verschwinde es. Im Grunde sei das Glück immer nur eine Erinnerung. Ich habe diese Behauptung nie verstanden. Bin ich doch gerade glücklich und genieße es. Ich gehe durchs Glück wie der Mann durch den Regen. Er kann ihm nicht ausweichen, das Wasser ist überall.

Regengrün
    Das rauchige Schwarz aus Lidschatten und Wimperntusche, einen Schatten um die Augen, der nie wirklich verschwindet, trage ich schon, seit ich denken kann. Das Grün meiner Regenbogenhaut dagegen verändert sich von Minute zu Minute. Ich habe Regengrün, Schlammgrün, Moosgrün. Meine Augenfarbe ist ein Fluss im Wetter, jeder Sturm wühlt ihn auf, jede Flut, jede Schmelze. An stillen Tagen sinkt alles zum Grund, und ich werde durchsichtig und dunkel. An heißen Tagen fällt die Sonne tief hinein und leuchtet aus dem Wasser zurück. Die Ufer sind aus schwarzem Kies, Vulkangestein.
    Das Gewitter hat meine Augen zum Glänzen gebracht. Als ich die kleine tuschegetränkte Bürste an die Wimpern führe, meine Augen weit auf, entdecke ich einen dunkelroten Fleck im Grün des linken Auges. Der war da vorher nicht. Ich frage mich, ob das du bist, diese dunkelrot verbrannte Stelle in meinem Auge, ein Andenken an dich.
    Ich presse meine Hände auf die Ohren und lausche in mich hinein. Alle Geräusche verschwimmen zu einem Unterwasserpanorama. Es ist unheimlich, zu denken, dass dieser Moment der einzige ist, den es gibt, keine Vergangenheit, keine Zukunft, nur diesen halbtauben Unterwassermoment im eigenen Kopf.
    »Du hast die ganze Nacht lang gelacht«, sagtest du heute Morgen.
    »Im Schlaf?«
    Ich fragte, obwohl ich die Antwort kannte. Du streicheltest meinen Rücken. Kein lautes

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