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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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weiteres Tier die Fahrbahn. Das Reh stöckelt unsicher auf den Asphalt. Mitten im Scheinwerferlicht bleibt es stehen. Seine Augen sind große Kugeln, starr auf mich gerichtet. Ich will aussteigen, den Bambiblick erwidern, dem Tier wortlos versichern, dass alles in Ordnung ist. Das Reh wittert. Es stellt die Lauscher auf. Seine langen schwarzen Wimpern zucken. Natürlich bleibe ich sitzen. Im Rückspiegel noch immer keine Gefahr.
    Dafür tauchen hinter dem Reh zwei grelle Lichtkegel auf, kommen rasch heran. Die schwarzen Augen verharren reglos auf mir. Ich will in ihnen forschen, will mit diesen Rehaugen sehen, den Blechkoloss, und kein Wort für Blech, keins für Koloss haben, Tier sein. Ich betätige die Hupe. Mit einem einzigen Satz springt das Tier in die Wiese. Als zweites Irrlicht verschwindet sein Hinterteil in der Dunkelheit. Am liebsten will ich hinterherlaufen, mitfliehen, wegrennen.
    Sekunden später rauscht der entgegenkommende Wagen an mir vorbei. Ich fahre ein paar hundert Meter weiter. Nirgendwohin. Nur an den Straßenrand.
    Die Motorhaube stößt mit sanftem Schwung ins Gebüsch. Das Motorengeräusch stirbt seufzend ab. Die Scheinwerfer zeichnen das Gestrüpp in hartem Schwarz-Weiß, ein Gewirr aus geknickten Linien, ein organischer Verzweigungsplan meiner Möglichkeiten, denke ich und bohre meinen Blick in seine Tiefe. Ich steige aus. Ich will das Geäst und die Dornen auf meiner Haut, nur einen Moment lang das Unterholz spüren, wie es wirklich ist. Die Wagentür ist noch offen. Mir piepst ein leises Geräusch hinterher, als ich mich rücklings ins Gestrüpp fallen lasse.
    Es tut gut, das Moos am Hinterkopf zu fühlen. Ich habe mir zwar ein paar Schrammen zugezogen, und quer unter meinem Rücken verläuft eine knotige Wurzel, aber es tut nicht weh. Ich sacke in den Erdboden wie eine umgekippte Steinfigur. Der Moosgeruch füllt meinen Kopf und meine Lungen. Ein Nachtvogel ruft. Ein kleiner Baum reckt seine Blätter in mein Sichtfeld, ein paar größere Bäume machen singende Geräusche, reiben Äste aneinander, seufzen. Etwas knackt. Etwas flattert. Halme kitzeln mein Ohr. So schlafen also Rehe, denke ich. Die Scheinwerfer des Saab verlieren an Kraft. Ihr Licht flackert. Das Piepsen verstummt mit ihrem Schein. Es ist wieder still und dunkel.
    Als ich wieder zu mir komme, können nur Minuten vergangen sein, es piepst noch, auch die Scheinwerfer sind noch an. Rasch stehe ich auf, reibe mir den Rücken. Ich muss nach Hause.

Sonderprogramm
    Eine Reise beginnt oft mit etwas Unspektakulärem. Zum Beispiel damit, dass mein Telefon unterm Clubsessel hervorklingelt.
    »Gut, dass du drangehst«, sagt eine sonore Stimme. Es ist der Bassmann. Am anderen Ende wird eine Tür und ein Reißverschluss zugezogen.
    »Hast du Zeit? Wir haben ein Angebot bekommen. Ich würd’s dir gern bei einer Tasse Tee verklickern. Bin in einer Viertelstunde bei dir. Ist das in Ordnung?«
    Wenig später wird der Reißverschluss wieder aufgezogen, der Bassmann wirft seine Sweatjacke auf mein Bett. Dankbar nimmt er den Tee entgegen. Wir seien für drei Wochen auf einen sogenannten Künstlerhof eingeladen. Die Frist beginne allerdings schon übermorgen. Wir seien eingeladen, dort zu wohnen, zu arbeiten und am Schluss ein Konzert für das Künstlerdorf zu geben. Für gewöhnlich würden Gäste dort sechs Monate verbringen, habe die Dame am Telefon erläutert. Wir seien jedoch keine regulären Gäste, sondern eine Art Sonderprogramm. Zwei Zimmer seien kurzfristig frei geworden. Und statt sie leerstehen zu lassen, hole man lieber in der Zwischenzeit begabte junge Leute auf den Hof. Zwar müssten zwei Konzerte ausfallen, sagt der Bassmann, mit dem Aufenthalt sei allerdings ein gewisses Renommee verbunden und eine Finanzspritze, die wir brauchen könnten. Er nennt mir die vierstellige Summe und zeigt mir die Seite des Künstlerhofs im Internet. Auf der Seite gibt es Bilder von Erdbeerbeeten und Backsteinhäusern, von Bildhauerateliers, von Malern, die mit Staffelei und Leinwand auf dem grünen Vorhof stehen, von konzertierenden Cellisten und Popbands, von weiß geschminkten Pantomimen, von Lichtinstallationen und Bücherregalen.
    »Was meinst du?«
    »Machen wir«, sage ich.
    Der Bassmann bleibt zum Mittagessen. Borg macht Spaghetti alla napoletana, die Soße quillt vor frischen Tomaten beinahe aus dem Topf. Wir planen einen Zwischenstopp bei einem Bekannten des Bassmanns ein. Als der Spaghettitopf leer ist, ruft der Bassmann dort an.
    Wie

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