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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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Präzisionsmusik.«
    Sein Kopf rollt ein Stück nach links und nach rechts. Seine Hand segelt herab. Ich hole tief Luft für meine Antwort.
    »Weißt du«, sagt der Bassmann und wirft mir einen schwelenden Blick zu, »ich kriege langsam den Eindruck, dass dir unsere Sache völlig egal geworden ist. Frage mich, ob ich meine Zeit verschwende. Ist nicht so, dass ich nicht bessere Engagements kriegen könnte.«
    Das Flackern in seiner Stimme lässt mich innehalten. Seine Freundschaft, seine Musik, seinen Bass habe ich immer für etwas Unverrückbares gehalten. Diesen Fels in seiner Stimme schwanken zu hören macht mich schwindlig, weckt ein Flüstern in mir, das ich nicht hören will. Nein. Nein. Nicht das. Am liebsten würde ich mich auf den Boden legen, gleich neben den Bassmann, und mich am abgewetzten Teppichboden festhalten.
    »Nein«, sage ich, »ist mir nicht egal. Überhaupt nicht.«
    »Mir ist klar, dass du ein verwöhntes Gör bist. Du klimperst mit den Augen, und Borg füttert dich durch. Oder dein komischer Großverdiener. Oder sonst wer. Aber ich für meinen Teil würde gern mal ohne Pump durchkommen. Ein oder zwei Nebenjobs an den Nagel hängen. Wissen, spüren, sehen, wo das alles hinführt. Mit dir oder jemand anderem. Sänger gibt’s genug.«
    Ich lasse mich auf den staubigen Boden nieder. Meine Fingerspitzen reiben über verfilzte Teppichknötchen.
    »Wir sind doch auf dem besten Weg«, murmle ich.
    Er schweigt. Meine Finger wandern und wandern. Der Boden unter mir scheint sich zu winden und zu krümmen. Plötzlich flucht der Bassmann leise.
    »Keine Ahnung, was dich plagt«, sagt er, »ist auch scheißegal. Es kann nicht so wichtig sein wie das hier. Wenn’s nämlich mit deiner Musik nicht klappt, hast du nichts, gar nichts. Ich hab meine Beziehungen, meine Drähte, ich kann organisieren. Ich kriege das schon gebacken. Aber du …«
    Bei den letzten Worten ist seine Stimme wieder weicher und leiser geworden. Er beginnt heftig zu husten. Reibt sich die Augen.
    »… du gehst doch vor die Hunde«, beendet er den Satz.
    Ich bekomme keine Antwort zusammen. Muss mich konzentrieren, mir nicht die Fingernägel an den Teppichknoten abzureißen. Minuten vergehen.
    Als der Bassmann merkt, dass von meiner Seite nichts mehr kommt, lässt er ein entnervtes Seufzen hören. Er zaust sich das Haar und schließt die Augen. Ich rechne damit, dass er jeden Moment die Muskeln anspannt, aufspringt, weggeht. Wie gelähmt erwarte ich den Augenblick, in dem der Boden unter mir wegbricht. In dem die Decke über mir einstürzt.
    »Du hast Talent. Schmeiß es nicht weg. Für nichts.«
    Der Aufruhr des Teppichbodens beruhigt sich nur langsam. Ich nicke. Erst drei Sekunden später kommt mir zu Bewusstsein, dass der Bassmann durch seine geschlossenen Lider hindurch mein Nicken nicht sehen kann.
    »Okay«, flüstere ich.
    An den Fenstern gehen Kinder mit Staffeleien in den Händen vorbei. Ich sehe nur ihre Köpfe, die Haarschöpfe, die wippenden Holzleisten. Ich zähle die Malkurskinder. Neun, elf, zwölf. Die Sonne malt ihnen Goldsterne ins Haar und auf die Backen.
    »Und was machen wir jetzt?«, frage ich irgendwann. »Weiterproben?«
    »Quatsch«, sagt der Bassmann.
    Er dreht den Kopf in meine Richtung.
    »Nimm dir den Rest des Tages. Entspann dich. Geh raus. Schau dir die Gegend an.«
    »Okay«, sage ich.
    Ich packe die Gitarren weg.
    »Du machst dasselbe?«
    »Denke schon«, sagt der Bassmann.
    »Dann bis heute Abend?«
    »Ja. Bis dann. Pass auf dich auf.«
    Ich gehe auf den gepflasterten Hof hinaus. Ringsum stehen die vier Backsteinscheunen, im Westen liegt das Schlafhaus und ein weißes Verwaltungsgebäude, das ist alles. Dahinter wachsen Binsen und Birken auf flachem Land. Die Kinder mit den Staffeleien sehe ich nicht mehr, sie müssen hinter einer der Backsteinscheunen verschwunden sein. Ich denke, dass die Sonne mir jetzt auch Goldsterne ins Haar malt. Hinter mir geht ein Fenster auf.
    »Hey Missy!«, schreit mir der Bassmann hinterher.
    Missmutig drehe ich mich um.
    »Und lach mal wieder«, ruft er.
    Ich versuche ein Lächeln und kriege nur eine Schnute hin. Bitterblume, Milchmarie, Schmollkröte, sagst du in meinem Kopf.

Kaffeekarussell
    Nachmittagsfrühstück ist nichts Seltenes bei mir. Nachmittagsfrühstück kommt häufiger vor als Morgenfrühstück, Nichtfrühstück am häufigsten. Obwohl mein Appetit gegen null geht, beschließe ich, ein solches Nachmittagsfrühstück zu suchen. Vielleicht weil ich weiß, dass

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