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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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denke ich, schnell. Ich werfe einen beschwörenden Blick zum Bassmann, keine Zugabe, nicht heute.
    Er beschwört zurück. Eine muss sein. Er hat ja recht. Noch einmal erspielen wir uns Stille.
    Als alles überstanden ist, packen wir die Instrumente ein. Ich berichte dem Bassmann von meiner akustischen Irrfahrt. Ich solle erst mal runterkommen, sagt er, den Rest schaffe er allein. Ich lege mich auf eine Couch im hinteren Bühnenbereich, höre, wie das Bargeklirr losgeht, Cocktails, Bierflaschen. Vielleicht gehört eins der Klirrgeräusche dir. Mein Puls wird ruhiger. Ich bleibe eine Viertelstunde liegen und mustere die Decke. Ich denke an eine Blume. Die werde ich in mein Haar stecken, bevor ich runtergehe. Ich werde Lippenstift auftragen. Vom Spiegel im Garderobenraum werde ich mir sagen lassen, dass alles in Ordnung ist.
    Du empfängst mich an der Bar. Bestellst mir etwas. Um uns herum brandet noch immer eine beachtliche Geräuschkulisse. Die Veranstalter haben Musik auf die Lautsprecher gelegt, aber außer dem Rhythmus kommt nichts durch, die Menschen sind lauter.
    Wir trinken und schweigen. Du bist kein lauter Mensch. Vielleicht geschieht deshalb inmitten des Lärms diese seltsame Umkehrung. All der Tumult verstummt. All das Klirren und Reden, all das Lachen und Rufen ebbt ab. Der Lärm wird zu Stille. Zu tiefblauer Stille, denke ich, die uns ozeanisch umschließt. Uns trägt. Unter uns gähnt. Mein Lächeln ist ein Ping, den dein wohljustiertes Sonar empfängt. Ein einziger Ton in dieser Stille. Du sendest einen Ping zurück. Er perlt auf meine Außenhaut. Ohne Zweifel hat dieser Unterseelaut, diese Elementarnachricht, mehr Bedeutung als alles, was wir uns im Verlauf dieses Abends werden sagen können.
    Zwischendurch sprechen mich Leute an. Ich lasse mich geduldig verwickeln, antworte höflich, stehe jedoch nie von meinem Barhocker auf. Du beobachtest meine Interaktionen, wortlos, vermutlich hörst du nicht einmal zu. Du bist abgetaucht in deinen Tiefseegraben und wartest dort auf mich.
    Erst als sich die Menschentrauben um die Bar herum aufgelöst haben, wechseln wir ein paar Worte. Du machst mir Komplimente über mein Aussehen. Das hast du noch nie getan. Jedenfalls nicht in vollem Ernst. Ich bleibe auf bekanntem Territorium, kommentiere mein Konzert und den Cocktail. Du sagst, du seist in ein neues Projekt eingestiegen. Lässt dich ein wenig über die Kollegen aus. Mehrmals fragst du, ob es mich überhaupt interessiere. Ich nicke. Mir gefallen deine weitschweifigen Beobachtungen über das Rudel von Schreibtischtätern. Ich genieße deine Gesprächigkeit. Deine Wohnung sei fertig eingerichtet, erzählst du weiter, auf dem Balkon stünden nun dieselben Stühle wie auf der Dachterrasse der Goldlaube. Die hätten dir immer schon gefallen. Mit Damla, sagst du, sei alles beim Alten.
    »Es ist nicht, wie du denkst«, sagst du plötzlich.
    Dein Redefluss hält inne. Wahrscheinlich ist das Damlathema der Grund für dein Hiersein. Ich gehe innerlich in Deckung. Durchwandere deine Kaffeeliköraugen. Ein paar Fragen schreibe ich direkt auf deine Netzhaut. Bist du glücklich, schreibe ich. Und tiefer drinnen: Was willst du eigentlich, Idiot.
    »Ich vermisse dich«, sagst du.
    In meinen Mundwinkeln sammelt sich Spott.
    »Sehr«, sagst du unbeeindruckt.
    Du holst Luft. Für einen Moment fürchte ich, du willst mich anbrüllen. Aber du atmest nur tief. In deinem Blick ist keine Drohung, keine Bitte, kein Ausweichen.
    »Ich bin«, sagst du, »wieder da. Ich bin wieder da. Für dich.«
    Ich lege den Kopf schief. Beiße auf meinen Fingerknöchel. Der Spott geht mir langsam aus.
    »Zu deiner Verfügung«, fügst du leise an.
    Okay. Ich nicke. Ich nicke im Rhythmus der Musik. Sie haben einen Bossa nova aufgelegt. Eine sanfte Stimme flüstert Spanisches. Ich verstehe nur einzelne Worte. Nacht. Mann. Liebe. Weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll, lasse ich mich einfach weiter von dir ansehen. In einem Film würde ich bestimmt irgendwas Leidenschaftliches sagen. Küss mich, und das Cocktailglas vom Tisch wischen. Gib mir deine Zunge, und dich hinter die Bühne zerren, Pulsrasen, Namenseufzen, Gierficken.
    Aber so ist das nicht. Ich will gar nichts sagen. Ich will gar nichts tun. In mir ist es dunkel wie tief unter Wasser. Ich lächle, empfange Pings und sende welche. Du sprichst weiter. Deine Worte sind kleine Neonfische, die um meinen Körper streichen.
    Irgendwann frage ich nach Damlas Laden. Ich frage nach ihrem Befinden und

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