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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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er so im Türrahmen steht, im Gegenlicht, das Telefon am Ohr und kerzengerade, wirkt er noch größer als sonst. Mir fällt auf, dass der Telefonhörer in seiner Hand komplett verschwindet. Ich staple die rotverschmierten Teller.
    »Hallo Micha«, höre ich.
    Dann tritt der Bassmann auf die Veranda hinaus.
    Borg kommt mit Espressotassen aus der Küche. Wie lächerlich diese Minitassen auch in seiner Hand aussehen, denke ich und werfe einen Blick auf meine eigenen Hände herunter. Stelle ich mich zwischen Borg und den Bassmann, bin ich ein dünnes Däumelinchen. Vielleicht sollte ich mich einmal mit den beiden fotografieren lassen. Nur um des Effekts willen. Unterdessen tigert der Bassmann durch den Garten, zehn Schritte links, zehn Schritte rechts, mehr Platz ist da nicht. Seine Stimme dringt fetzenweise ins Haus herauf, Wortfetzen, Satzfetzen dessen, was er seinem Bekannten, einem Barbesitzer, durchnickt. Barmann und Bassmann, denke ich, nicht schlecht.
    Micha könne uns morgen Abend außer der Reihe auftreten lassen, sagt der Bassmann, als er wieder hereinkommt. Ohne Werbung zwar, nur die üblichen Bargäste, aber wenn wir Lust auf eine intensive Kleinveranstaltung hätten, seien wir herzlich eingeladen. Am liebsten unplugged, publikumsnah, habe Micha gesagt. Zweimal zwanzig Minuten, eine große Pause dazwischen, alles gechillt. Keine Gage, aber eine kostenlose Nacht in einem Drei-Sterne-Hotel.
    »Eigentlich könnte ich auch für den Rückweg was anleiern«, sagt der Bassmann, »vielleicht nimmt uns einer der renommierteren Läden da oben kurzfristig ins Programm. So als offizielle Künstlerhofkünstler«, fügt er lachend hinzu.
    Seine Worte schlagen über meinem Kopf zusammen wie aufgewühltes Wasser. So wie er auf der Bühne Basskaskaden über meine Songs gießt, überschüttet er mich die restliche Zeit über mit seinem Tatendrang, einer Kraft, die mir so schmerzlich abgeht. Ich will nach Luft schnappen. Sein Wildwasser ausspucken. Stopp rufen. Gleichzeitig möchte ich aufspringen und seine glühende Wange küssen. Ohne den Bassmann wäre ich längst untergegangen.
    Es ist bereits nach neun, als ich meine Sachen endlich gepackt habe. Ich liege erschöpft auf dem Bett. Ich möchte morgen einigermaßen ausgeschlafen sein. Denke an dich. Ich könnte dich anrufen. Vielleicht drei Stunden bei dir verbringen. Du würdest unerobert vor mir auf dem Bett liegen, der Rabenprinz, ein fremd gewordenes Land. Meine Finger würden Zentimeter um Zentimeter zu dir zurückfinden. Ich schlafe ein.

Fremde Waschbecken
    Pseudoägyptische Skulpturen thronen links und rechts der Rezeption. Zwischen ihnen steht Micha und plauscht mit der Rezeptionistin, deren Bluse, passend zu den flankierenden Ägyptenfiguren, blaue und goldene Streifen hat. Schließlich drückt er uns zwei Schlüsselkarten in die Hand, steckt uns in einen der messingglänzenden Aufzüge, wünscht eine angenehme Nachtruhe und lächelt, bis sein Barmanngesicht hinter den Aufzugtüren verschwindet.
    Der Bassmann drückt die Fünf. Ich studiere die Frühstückskarte.
    Oben kommt uns ein junger Mann entgegen. Er hastet durch den Hotelflur, seine blauen Augen flackern unsicher. Er kriegt den Aufzug gerade noch. Er trägt ein auffällig bedrucktes Shirt, das eng an seinem Körper anliegt. Sein türkisfarbener Torso bleibt wie ein Sticker in meinem Gedächtnis kleben.
    Der Bassmann hat Zimmer fünfnullfünf. Er wünscht mir gute Nacht und verschwindet darin. Ich gehe ein paar Schritte weiter. Ich habe Zimmer fünfnullneun. Stecke die Karte ins Schloss. Für eine halbe Sekunde denke ich darüber nach, dem türkisblauen Mann nachzulaufen. Ich hätte gern gelesen, was auf seinem T-Shirt stand. Es klickt, eine grüne Diode bestätigt mir, dass meine Tür offen ist.
    Drinnen erwarten mich hässliche Stühle, hässliche Vorhänge, hässliche Bilder, ein ordentliches Mittelklassehotel. Zugegeben, ich kann solchen Hotels etwas abgewinnen. Gemietete Räume, die keinen Funken Stil haben und doch einen gewissen Komfort verbreiten. Die kleinen Seifenstücke, das gefaltete Klopapier. Mein Parfum und die Zahnbürste an den Spiegel stellen, in ein fremdes Waschbecken spucken, seine Sauberkeit trüben. Ich mag Aufzüge, lange Hotelflure, Frühstückssäle und den Duft des frischen Kaffees jeden Morgen.
    Während ich meine Sandaletten abstreife, höre ich, dass im Nachbarzimmer geduscht wird. Trotz dreier Sterne und Pharaonenskulpturen scheint das Hotel nur sehr dünne Wände zu haben. Ich

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