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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Jäger
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platschten auf ihre rechte Hand, in ihr linkes Auge und auf das nutzlose Handy.
    »Shit!«
    Sie ging über den Parkplatz, auf dem nur ein einziges Auto stand, und kam auf eine etwas breitere Straße. Dort stand das gelbe Ortsschild, auf dem in schwarzer Schrift Westbevern-Vadrup stand. Geht doch!, dachte sie. Sie zählte ihre Schritte. Eine Reportergewohnheit. Denn, so hat es ihr Charly Berendsen, einer der ganz alten Hasen beim Express, einmal erklärt: »Haste kene Infos, Klene, dann zähl die Schritte von der Leiche bis zur Tür, oder schreib die Farbe des Futternapfes der Katze auf. Det hilft.«
    Nach genau fünfhundertdreiundvierzig durchschnittlichen Schrittlängen sah sie das gelbe Ortsschild, auf dem mit roten Querbalken Westbevern-Vadrup durchgestrichen war. Darunter stand: Westbevern-Dorf 3 km. Vadrup, Dorf? Viktoria schnaufte vor Wut. Aus wie vielen Teilen besteht dieses Kaff eigentlich? Inzwischen waren es wohl an die fünfundvierzig Tropfen, die auf ihr gelandet waren. Der Halbmond war hinter den Wolkenbergen verschwunden, Viktoria war ratlos. Sie hatte also Westbevern-Vadrup durchlaufen und außer ein paar düsteren Einfamilienhäusern nichts gesehen. Sollte sie jetzt die drei Kilometer bis Westbevern-Dorf weitermarschieren, in der Hoffnung, dort ihren Gasthof zu finden?
    Ein Blitz zuckte am Himmel. Ein astreiner Blitz. Eins, zwei, drei, vier, fünf Sekunden später grollte es. Viktoria drehte um, drei Kilometer waren einfach zu weit, die Füße hätten das ohne Blasen nicht überstanden. Und sie hasste Blasen.
    Es war die richtige Entscheidung gewesen. Nach genau hundertzweiundzwanzig Schritten blieb sie stehen. Von rechts kam eine Gestalt. Ein Mann, um die sechzig, schwankend und wankend. Ein guter Wegweiser. Sie ging ihm entgegen, vermied die gleiche Straßenseite und damit seine Alkoholfahne und landete nach achtundsiebzig Schritten vor dem Gasthaus König. Ha, nennt mich Fährtenleserin!, dachte sie. Der Himmel leuchtete, es krachte, und die Wolken schickten ihre nasse Flut zur Erde. Viktoria grinste: Timing ist einfach alles!
    Ein kleines beleuchtetes Schild in altdeutscher Schrift mit dem Namen »Gasthaus König« hing über der schweren Eingangstür aus dunklem Holz. Sie drückte die Klinke, betrat den Windfang, öffnete die nächste Tür zur Gaststube und fühlte sich wie Clint Eastwood. Drei Männer saßen mit gebeugtem Rücken an der Theke, alle drei drehten sich um, als sie den Raum betrat. Fette Tropfen schlugen gegen die Fenster, die Tür fiel laut ins Schloss! Es roch nach Rauch und Bierdunst. »Guten Abend! Wer ist denn hier für die Zimmer zuständig?«
    »Kundschaft, Harry!«, rief einer der drei, ohne zu antworten. Langsam drehten sich alle wieder um und schauten auf ihre Schnapsgläser vor sich. Unglaublich, dachte sie. Der Wirt heißt Harry! Sie war wirklich in einem Clint-Eastwood-Film gelandet.
    »Jaha! Komme gleich!« Dirty Harry war offensichtlich irgendwo im Keller und rief: »Ich dreh jetzt wieder zu, Kai!«
    Der angesprochene, aber unsichtbare Kai antwortete von irgendwo unter der Theke: »Geht klar, Harry!«
    Die drei Typen rührten sich immer noch nicht. Viktoria stand neben ihrem kleinen schwarzen Rollkoffer im Eingang und schaute sich um. Der Raum war groß, doch durch das Eichenfachwerk, durch die niedrige Decke und die dunklen Fliesen am Boden wirkte alles recht gemütlich – vorausgesetzt, man stand auf rustikale Ausstattung. Rechts an der Wand hingen Jagdtrophäen – bestimmt an die zwanzig kleine Schädel mit Hörnern. Viktoria musste an Bambi denken, mit weichem Fell und süßen Kulleraugen. In der linken Raumhälfte waren vier Nischen mit Tischen und Eckbänken, auf einem Tisch stand ein Klotz mit einem Metallschild, darauf »Stammtisch«. Willkommen im Provinzklischee, dachte Viktoria und lauschte auf Harry, der sich offensichtlich nur langsam die Kellertreppe hochbewegte.
    »Na, wird’s denn jetzt noch was?!« Der ganz rechts sitzende Mann an der Theke klang ungeduldig.
    Der unsichtbare Kai antwortete: »Bier kannste heute vergessen«, ein kurzes Stöhnen, dann tauchte der Verkünder der schlechten Nachricht aus den Untiefen der Theke hervor und reckte sich. Währenddessen blickte er in Viktorias Richtung, nickte kurz, lächelte und sagte: »Tach!«
    Sie nickte ebenfalls und gab ihm innerlich ’ne ordentliche Zwei. Er war groß, hatte einwandfreie Zähne, ein verwaschenes graues T-Shirt an, dunkelblonde Haare, vielleicht ein bisschen zu kurz im Nacken –

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