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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Jäger
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Viktorias dreckiges Lachen.
    »Pass bloß auf, Pink-Pulli! Noch so ein üppiges Frühstück wie gerade und du siehst bald aus wie Miss Piggy!« Das saß. Viktoria hörte auf zu lachen und funkelte wütend Richtung Mario. Da rettete Harry, der kleine graue Wirt mit dem artigen Seitenscheitel, die Situation. Mit einem Eimer Wasser brachte er den Barchetta und Mario wieder zum Strahlen. Die Berliner konnten endlich losfahren.
    Viktoria wusste nicht, wie oft sie schon so oder so ähnlich zusammen in einem Auto gesessen hatten. Mario fuhr, und sie kramte in ihren Notizen, die sie selten in einen ordentlichen Block schrieb. War sie auf Recherche, kritzelte sie auf Rückseiten von Quittungen, in Reiseführer oder auf Parkscheine. Sie war Mario dankbar, dass er nicht ein einziges Mal einen dummen Spruch über ihre Zettelwirtschaft machte. Wenn sie mal wieder mit dem halben Kopf in ihrer Umhängetasche steckte, um im Dunkeln nach einer bestimmten Adresse, einem Zitat oder dem Namen des nächsten Interviewpartners zu suchen, schwieg er einfach. Im Gegenzug ließ auch sie ihm seine Macken. Bis heute begriff sie nicht, wie ein Mann, der, ohne mit der Wimper zu zucken, den Anführer eines indonesischen Rebellentrupps bat, die Handgranate noch ein bisschen weiter in die Höhe zu halten, damit das Foto besser wurde, wie so ein Mann das große Bibbern bekam, wenn er eine Mücke summen hörte. »MALARIA!«, rief er dann und tötete die kleine Feindin sofort. Doch auch ganz normale Menschen oder Hotelhandtücher versetzten ihn schon in Panik.
    Mario Siewers, der härteste aller Fotoreporter, hatte immer ein Fläschchen Desinfektionsspray dabei. Regelmäßig dieselte er damit seinen gesamten Kofferraum und seine Kameraausrüstung ein. Als Viktoria einmal für eine Strichermordgeschichte mit Straßenkindern vom Bahnhof Zoo gesprochen und einem kleinen Punk-Mädchen zum Abschied die Hand gegeben hatte, reichte er ihr angewidert ein nach Arzt riechendes antiseptisches Feuchttuch. »Nimm das. Man weiß ja nie.« In einem Hotel in der Türkei – Viktoria und Mario mussten sich ein Zimmer teilen, da nach dem großen Erdbeben 1998 nur noch dieses eine Hotel stand – schrie er sie fast hysterisch an, als sie aus der Dusche kam. »Du hast doch nicht etwa die Handtücher dort benutzt.« Sie hatte. Natürlich. Denn sie vergaß grundsätzlich, in jedem Urlaub und bei jedem Auftrag und bei jedem Besuch ein eigenes Handtuch. Er schüttelte sich.
    »Hast du denn nicht gesehen, wie dreckig das aussah? Das ist voller Bakterien!«
    Einen Moment lang glaubte sie ihm. Doch als sie Tage später keine Anzeichen von schlimmen bakteriellen Erkrankungen bei sich feststellte, glaubte sie ihm nicht mehr. Er hielt sie seitdem für ein bisschen ekelhaft. Gut, dass ich wenigstens meine Augenbrauen regelmäßig zupfe, dachte Viktoria.
    Es war also wie immer. Viktoria kramte in ihrer Umhängetasche nach der Adresse des Lokalblatts von Telgte, der Kleinstadt, zu der auch Westbevern gehörte. Sie hatte den Straßennamen aus dem Internet ausgedruckt, doch wo war der Zettel? Sie fluchte leise vor sich hin, weil sie ihre Tasche von innen wirklich fies fand. Sie wusste nicht, woher die ganzen Krümel kamen – sie aß eigentlich keine Kekse –, aber sie waren da und klebten nach ihrer Suchaktion an ihren Händen.
    Mario fuhr schweigend. Doch dann platzte es geradezu aus ihm heraus: »Hast du das gesehen, Victory? Das ist wirklich so unfassbar.« Er lachte. Sie tauchte aus ihrem versifften Taschendunkel auf, blickte sich um und erwartete mindestens eine Kuh mit zwei Köpfen. Doch sie sah nichts. »Was?«, fragte sie. »Was ist unfassbar?«
    »Na, da drüben, diese total verspießten Vorgärten. Ich dachte immer, das wäre nur eines dieser Vorurteile, das ich habe. Aber es stimmt. Die Leute hier auf dem Land haben nichts Besseres zu tun, als Rasen zu mähen, Unkraut zu jäten und Vorhänge zu waschen. Guck mal der Typ da, der hält gerade eine Wasserwaage an seine Hecke. Nachher kniet der sich bestimmt auf seinen Rasen und zählt die Grashalme. O nein, der hat sogar einen Dackel! Siehst du den Köter?«
    Viktoria lachte. »Ja, ja, Mario. Du und deine Liebe zum Großstadtchaos. Aber ich garantiere dir, wenn du bei den Leuten da aufs Klo gehst, ist da kein einziges Bakterium.«
    »Ja, aber dafür gibt’s da bestimmt eine umhäkelte Klorolle. Und die ist mindestens genauso schlimm für mein Immunsystem.«
    Viktoria stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und hielt

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