Schuhwechsel
Verbundenheit zu ihr.
Jetzt bin ich natürlich nicht mehr sauer und habe sie sofort in meinen sms-Verteilerkreis aufgenommen. Die Lieben zu Hause warten schließlich jeden Abend gespannt auf die neuesten Berichte vom Jakobsweg und falls ich mal aus versehen gemeuchelt unter einem Gebüsch verschwinde, wissen meine Freunde ungefähr genau wo sie mich suchen müssen.
Die Kirche taucht schon wieder in meinen Gedanken auf und darauf habe ich heute absolut keine Lust. Der Tag ist zu schön um von den düsteren Emotionen meiner inneren Gruften getrübt zu werden. Inzwischen bin ich wach und um den Gedanken Einhalt zu gebieten stöpsle mir die „schönsten Opernchöre“ ins Ohr. Wie eine junge Gemse, hüpfe ich laut (und falsch) singend den Berg hinauf.
Singen stoppt das Denken.
Ohne die 12 kg auf meinen Schultern wandert es sich deutlich angenehmer. Ich erlebe den Camino erneut voller Freude, Leichtigkeit und Glücksgefühle. Welch ein Balsam für meine Seele, diese Freiheit genießen zu dürfen. Ich bin so froh und dankbar, dass mich dieser Weg gerufen hat.
Hape hatte irgendwann einmal geschrieben, dass er auf diesem Weg das Gefühl hatte, Gott begegnet zu sein und seine Weggefährtinnen stimmten ihm zu.
Ich bin absolut seiner Meinung und würde sogar noch einen oben drauf setzen: Wenn man einmal davon ausgeht, dass Gott in unserer Vorstellung mal kein alter Mann mit wallendem weißen Haar und Rauschebart wäre, sondern Gott die Natur ist, das Leben, die Pflanzen, die immer wiederkehrenden Jahreszeiten, die Luft, die Sonne und all das ist, wovon wir Pilger den ganzen Tag umgeben sind, dann könnte man die Verbundenheit mit Gott jeden Tag und dauerhaft realisieren.
Man muss sich eigentlich nur in die von „ihm“ geschaffene Natur begeben.
Bisher erlebe ich einen sagenhaften Camino. Gott muss mich sehr lieben, wenn er mir so viel Freude mit auf den Weg gibt. Und dazu noch sehr nette Wegbekanntschaften, Gesundheit und einen sehr guten Rioja.
Es ist ein klarer und schöner Morgen und je höher ich aufsteige, desto gigantischer wird die Aussicht. Als ich fast oben bin und sich nach einer Biegung das ganze Tal vor mir ausbreitet, trötet Verdi´s Triumphmarsch in mein Ohr. Dieser Anblick, zusammen mit der Musik, haut mich um. Völlig überwältigt lasse ich mich an den Wegesrand plumpsen, blicke in diese atemberaubende Weite und lasse die Tränen fließen.
Jetzt hat er mich erwischt. Dieser Weg. Ich bin nicht mehr auf ihm, sondern er ist in mir. In mich eingefahren, mit mir verschmolzen, eins geworden. Ich bin der Weg, das Licht, ein Teil vom Ganzen, vollendet, göttlich, lebendig und klar. Halleluja.
Es dauert eine ganze Weile, bis ich wieder bei Verstand bin und mit einem, vor Glückseeligkeit hüpfenden, Herz, hüpft der Rest dieser meinigen Person die letzen Meter hoch in die nächste Bar. Ich brauche jetzt etwas, das mich erdet. Trinke einen Café con lecche und esse einen Boccadillo.
Als ich weiter gehen will, ist der Bauer aus diesem Weiler gerade dabei, seine Kühe auf die Weide zu treiben. Er wirft seinem Pferd einen leeren Kartoffelsack auf den Rücken und setzt sich darauf. Mehr Sattel braucht er nicht. Seine fünf großen Hunde, die zweifellos alle aus einem Wurf stammen, treiben die Kühe mit lautem Gebell an.
Diese nostalgische Szene, in der ich mitten drin bin, verzückt mich so sehr, dass ich ganz vergesse, auf den Weg zu achten und zusammen mit den Kühen auf die Weide trabe.
Wie peinlich! Der Bauer grinst sehr breit und ich beschließe, mein Gehirn wieder auf die Reihe zu bekommen, sonst wird das nix mehr mit Santiago.
Weiter geht es den Berg hoch und, an einem beeindruckenden Grenzstein vorbei, überschreite ich die Grenze nach Gallizien. Im Gipfel- und Museumsdorf O Cebreiro begegne ich den Italienern mit Pietro. Es ist noch immer früh am Morgen, deshalb sind einige der Lokalitäten geschlossen.
Irgendwie scheint meine geistige Verwirrung anzuhalten, denn das Dorf beeindruckt mich kein bisschen.
In der sogar geöffneten Kirche gibt es einen schönen, großen Stempel für den Pilgerpass. Pietro meinte, er würde etwas kosten, aber erstens stimmt das nicht und zweitens haben diese Menschen hier keine andere Einnahmequelle als die Pilger im Sommer. Wenn wir nicht an noch mehr verlassenen und verfallenen Weilern vorbei pilgern wollen, sollten uns diese paar Cent nicht jucken. Zumal der ganze Weg sowieso total günstig ist, wie ich finde und werfe ein paar Euro in die Spendenbox.
Dann zieht
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