Schuhwechsel
bei: „In Brasilien gab es mal eine Bierwerbung, in der Bier gesünder als das Trinkwasser angepriesen wurde. Das Trinkwasser in Brasilien wird nämlich mit allen möglichen chemischen Zusätzen versehen und unterliegt keinem Reinheitsgebot.“
Während Jing diese Unterhaltung ins Portugiesische übersetzt, wird das Essen serviert. Heather nippt an ihrem Wasser und sagt: „Trotzdem. Alkohol gehört nicht auf einen christlichen Pilgerweg. Egal in welcher Form.“
Heathers Bigotterie hat meine Grenzen erreicht und ich habe das deutliche Gefühl ihr widersprechen zu müssen:
„Jesus hat auf seinen Wanderungen Wasser in Wein verwandelt. Also was bitte ist an diesem göttlichen Getränk so verwerflich, dass es die Pilger nicht erfrischen darf? Selbst in der Kirche, in jedem Gottesdienst trinkt der Priester Wein. Am hellen Vormittag!
Außerdem gibt es in der griechischen und in der römischen Mythologie sogar einen Gott, der nur für den Wein zuständig ist, nämlich Dionysos. Bei den Römern hieß er Bacchus. Und in allen Abbildern, bei den Griechen und den Römern spielen Weintrauben eine große Rolle. Demnach ist zumindest Wein ein Getränk der Götter. Wieso glaubst du, dass er nicht auf den heiligen Jakobsweg passt? Zumal er auch noch überall entlang des Weges wächst?“
Die Brasilianer lachen und Karl bestellt bei dieser Gelegenheit gleich noch eine Flasche schönen Rotwein. Die Männer sehen das genauso.
„Sagt man nicht auch, Wein ist das Blut der Erde?“, hakt Juan nach. Oh ja. Bei so manchem guten Tropfen bekommt man das Gefühl, man trinkt das Blut dieser Erde.
„Ja, stimmt“, Heather wird versöhnlicher, „aber ich laufe am anderen Tag einfach viel schwerer, wenn ich am Vorabend Wein getrunken habe.“
Es mag natürlich sein, dass ich morgens die ersten Stunden so schwer gehe, weil ich abends ein Glas Wein getrunken habe. Es kann aber natürlich auch daran liegen, dass ich morgens um 6 Uhr einfach noch nicht richtig wach bin. Wie tief und erholsam kann der Schlaf in Stockbetten eines überfüllten Schlafsaales in einer Herberge sein? Selbstverständlich steht es jedem Pilger frei, während seiner Pilgerschaft auf die Mengen seines Alkoholkonsums zu achten. Was ich heute Abend aber sicher nicht tun werde. Wir schlafen schließlich in einem Kloster!
Juan fragt nun mich, warum ich auf diesem Weg bin. Meine ehrliche Antwort ist:
„Ich weiß es nicht. Der Weg hat mich gerufen. So laut und stark, dass ich nicht anders konnte, als ihn zu gehen. Jetzt bin ich hier und warte auf die Erkenntnis oder eine Antwort…
In Wirklichkeit habe ich keine Ahnung, warum ich diesen Weg gehe.“
„Wie hat er dich gerufen?“, wollen nun alle wissen und ich erzähle ihnen die Geschichte von den paar Tagen, die ich Vorbereitungszeit hatte und bis zum Schluss nicht genau wusste, ob ich nun fliege oder nicht. Aber wie es durch wundersame Fügungen dann doch noch geklappt hat.
Dann kommt unter den Pilgerfragen der zweite Klassiker: „Wie geht es deinen Füßen? Hast du viele Blasen?“
„Nein, bis jetzt habe ich noch keine einzige Blase“, sage ich und klopfe auf meine Schuhe dabei hatte ich nicht einmal Wanderschuhe, weil ich ja nie wandere. Im Internet habe ich mir welche bestellt, die am Tag meiner Abreise ankamen. Die sind echt gut, ich habe noch keine einzige Blase.“
„Was?“ jetzt ist Heather überrascht, „Ich bin hier mit meinen gut eingelaufenen, sehr teuren Markenschuhen angekommen und hatte in den ersten zwei Wochen nur Probleme. Meine Füße sind voller Blasen, die bis heute noch nicht ganz abgeheilt sind. Irgendwann habe ich die Dinger weggeworfen und mir neue gekauft. Die sind etwas besser und meine Füße beginnen zu heilen.“
Aha. Und das alles ohne diesen herrlichen spanischen Wein, der entlang des Jakobsweges wächst und trotz dieser sehr christlich-gläubigen bis bigottischen Einstellung? Irgendetwas scheint an dieser Rechnung nicht zu stimmen.
Auch die Männer hatten mit Blasen zu kämpfen. „Du scheinst ein Glückspilz zu sein,“ sagt Karl und schenkt mir nach, „was hast du denn schon alles erlebt?“
Wenn sich Pilger auf dem Pilgerweg treffen und sich unterhalten, geht es fast ausschließlich nur um den Pilgerweg und was man darauf erfahren und erlebt hat. Nur sehr selten spricht man von zu Hause und von dem, was man dort hat und was man ist. Höchstens der Familienstand ist noch interessant, falls man Flirten oder mehr möchte. Aber das Leben auf dem Pfad der Milchstrasse
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