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Schuldig wer vergisst

Titel: Schuldig wer vergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Charles Anke und Dr Eberhard Kreutzer
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Fahrscheine und Bahnkarten bitte!«
    Alex schlug das Herz bis zum Hals.
    Er war immer noch einen halben Waggon von ihr entfernt, aber wenn sie jetzt aufstand und hinausging, würde
es jeder merken. Sie musste einen geeigneten Moment abpassen. Die erste Reihe lief reibungslos: Fahrscheine wurden hingehalten, geprüft und gelocht, zurückgegeben. Doch dann trat eine kleine Komplikation auf. »Könnte ich wohl bitte Ihre Bahncard sehen, Madam?«, forderte der Schaffner eine ziemlich dicke Frau in einem leuchtend blauen Mantel auf.
    Die Frau wühlte in ihrer Handtasche. »Ich scheine sie nicht dabeizuhaben«, sagte sie.
    Der Schaffner runzelte die Stirn und sah sie eingehend an. »Den Preis gibt es aber nur mit Bahncard«, erklärte er. »Steht deutlich auf dem Fahrschein, dass Sie im Besitz einer gültigen Karte sein müssen.«
    »Ich habe ja auch eine, aber ich muss sie wohl zu Hause gelassen haben.«
    Mehr brauchte Alex nicht zu hören; sie schoss aus ihrem Sitz und schlenderte unauffällig in Richtung der Toilette am hinteren Ende des Waggons.
    Niemand sah sie an, als sie vorbeiging, und niemand sah zu, wie sie sich einschloss.
    Sie hatte reichlich Zeit, sich im Spiegel zu betrachten: kein besonders hübscher Anblick, musste sie zugeben. Sie sah aus, als hätte sie schlecht geschlafen, was ja auch den Tatsachen entsprach. Natürlich war ihr Haar auch nicht gut frisiert; diese schreckliche Krause widersetzte sich jedem Versuch, eine Frisur daraus zu machen. Alex kämmte es sich mit den Fingern und bändigte es mit ein paar Spritzern Wasser aus dem Hahn. Dann hielt sie ein Papierhandtuch unter den Wasserhahn und versuchte, sich damit das Gesicht zu waschen. Sie fuhr mit den Händen über den Mantel und entfernte ein paar Fusseln, die von der Waschküche hängen geblieben waren. Na bitte: fast respektabel. Sie ließ noch ein paar Minuten verstreichen, um ganz sicherzugehen, bevor sie irgendwann aus ihrem Versteck hervorkam und auf ihren
Platz zurückkehrte, als sei es ihr selbstverständliches Recht, dort zu sitzen.
    Sie triumphierte überhaupt nicht, sondern fühlte sich im Gegenteil halb krank.
    Was würde ihre Mutter sagen, wenn sie wüsste, dass sie schwarzfuhr? Eine gemeine Verbrecherin oder so gut wie. Sie hatte das Schild gelesen, auf dem stand, was einem passieren konnte, wenn man ohne gültigen Fahrschein in den Zug stieg. Mum würde sich für sie schämen, Granny auch.
    Doch Alex erinnerte sich energisch daran, dass es der guten Sache diente. Sie musste zu ihrer Mum, koste es, was es wolle.
    »Nächster Halt Doncaster«, ertönte die Ansage. »Hier haben Sie Anschluss an die Regionalzüge nach Grimsby, Selby, Hull und Wakefield.«
    Doncaster! Alex musste ihren Platz räumen, und zwar schnell. Das hätte sie längst tun sollen. Sie drehte sich um und versuchte, sich einen Überblick zu verschaffen.
    Zwei Reihen hinter ihr machte sich eine Frau daran, ihr Gepäck einzusammeln und sich den Mantel anzuziehen. Auch ihr Begleiter stand auf. Vielleicht hatte sie Glück!
    Tatsächlich begab sich das Paar auf den Gang, bevor sie in den Bahnhof von Doncaster einliefen, und Alex erkannte an den kleinen Schildchen, dass sie nur von King’s Cross bis Doncaster reserviert hatten. Das hieß, sie musste auf diesen Plätzen bis ganz nach Edinburgh sicher sein. Sie wartete, bis der Zug in den Bahnhof einfuhr und die Türen aufgingen, dann wechselte sie die Plätze.
    Hinter Doncaster fuhren sie durch das Vale of York, und die Landschaft wurde weitläufiger; als sie in den Bahnhof von York einfuhren, erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf die weiße, majestätische Kathedrale und die üppigen steinernen Schnörkel an den Fenstern, die sie an Herzen erinnerte.

    York. Das musste mindestens die halbe Strecke nach Edinburgh sein. Hinter York wurde die Landschaft interessanter, und Alex vergaß die Familie, die jetzt drei Reihen weiter vorne saß.
    Doch kurz bevor sie Durham erreichten, hörte sie unverkennbar Henrys Stimme laut und schrill. »Mum, ich muss mal aufs Klo.«
    »Oh, sicher. Aber sei vorsichtig, Henry.«
    Alex sah nicht hin, als er an ihr vorbeikam; sie war von dem prächtigen Anblick der Kathedrale von Durham fasziniert, die hoch über dem Zug auf ihrem Felsen ruhte und so aussah, als sei sie daraus emporgewachsen. Kein Mensch konnte das so gebaut haben!
    Wenig später, kurz nachdem sie Durham hinter sich gelassen hatten, glitt plötzlich Henry neben ihr auf den Sitz und sagte flüsternd: »Du hast keine Fahrkarte,

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