Schuldig wer vergisst
die Uhr. Bei ihrer Besprechung am Donnerstag hatte Brian sie gebeten, die Krankenhausbesuche am Samstag zu machen, und so stand das als Nächstes auf ihrer Liste. Bei der anhaltenden Kälte hatten sich eine ganze Reihe ihrer Gemeindemitglieder, vor allem die älteren, irgendwelche Bazillen eingefangen und brauchten ein bisschen pastoralen Trost. Im Hinterkopf hegte sie die Hoffnung, sich vielleicht im Krankenhaus-Café mit Frances zu einem kurzen Mittagsimbiss oder wenigstens einer Tasse Kaffee treffen zu können.
Zuerst jedoch sollte sie sich die Zeit nehmen, mit Bella einen zügigen Spaziergang durch den Park zu machen. Zwar hatte Peter gesagt, er hätte sie bereits am Morgen ausgeführt, doch das konnte höchstens für ein paar Minuten gewesen sein.
Bella war jedenfalls mehr als willig. Der Anblick ihrer Leine versetzte sie in noch größere Verzückung als der von Callie selbst. Callie hakte die Leine in Bellas Halsband ein, wickelte sich in einen warmen Schal, zog Mütze und Handschuhe an, während Bella vor Ungeduld an der Tür herumsprang.
Sie hatten ihre übliche Route am Rand des Hyde Park halb hinter sich, als Callies Handy in ihrer Tasche klingelte. »Oh, verdammt«, murmelte sie, klemmte sich Bellas Leine zwischen die Knie, zog sich die Handschuhe mit den Zähnen aus und wühlte nach dem Telefon. »Wehe, wenn das nicht wichtig ist.«
»Callie?«, sagte Morag Hamilton in der Leitung. Ihre Stimme zitterte, und sie wirkte verstört.
»Morag!«
»Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie behellige. Aber etwas … Schreckliches … ist passiert.«
»Oh, Morag. Was ist los?« Alle möglichen Szenarien drängten sich Callie auf. Raub? Ein Unfall? Es war kaum eine halbe Stunde her, seit sie sich gesehen hatten.
»Ich habe gerade mit der Polizei telefoniert. Meine Enkelin – meine kleine Alex – wird vermisst. Und ich kann nichts tun. Aber …«
»Ich bin gleich bei Ihnen«, sagte Callie, ohne zu zögern. »In ein paar Minuten.«
Bella sah sie erwartungsvoll an.
»Macht es Ihnen was aus, wenn ich Bella mitbringe?«, fragte Callie. »Ich bin im Park und kann schneller bei Ihnen sein, wenn ich sie nicht erst nach Hause bringen muss.«
»Nein, das macht mir nichts aus. Natürlich nicht.«
Callie steckte das Handy wieder in die Tasche, zog sich die Handschuhe an und nahm das Ende der Leine. »Komm, Mädchen, kleiner Dauerlauf!«
Der Zug hatte in Peterborough gehalten, wo einige Leute ausund andere eingestiegen waren, und jetzt fuhren sie an flachen, gefrorenen Feldern vorbei, von denen einige noch immer schneebedeckt waren. Alex saß am Fenster und starrte auf die vorbeirauschende Landschaft.
Durch den Spalt zwischen den Sitzen konnte sie die Familie im Auge behalten, und im Moment war sie interessanter als der Blick aus dem Fenster. Das jüngste Kind quengelte, und der Vater versuchte, es mit einem Malbuch abzulenken. Die Mutter griff ins Gepäckfach über ihnen und holte eine Kühltasche herunter, die sie auf dem Tisch zwischen den beiden Sitzreihen auszupacken begann. Eine Thermosflasche, ein paar Tassen, kleine Saftkartons, die sie an die Kinder verteilte, bevor sie ihnen, wenn nötig, dabei half, das Loch mit dem biegsamen Strohhalm aufzustechen.
Ein Getränkewagen kam den Gang entlang in ihre Richtung. »Sandwiches?«, fragte eine muntere junge Frau in gestreifter Bluse. »Snacks, heiße und kalte Getränke?«
»Wir haben alles dabei«, sagte die Mutter hochnäsig, während sie weiter ihre Vorräte auspackte.
Der Wagen hielt an Alex’ Reihe an. »Sandwiches? Snacks, heiße und kalte Getränke?«
Alex blickte sehnsüchtig auf die Tüten mit Chips, die Schokoriegel und Kekse. McDonald’s und ihr Big Mac waren nur noch eine ferne Erinnerung. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Sie hätte augenblicklich eine ganze Tüte Chips vertilgen können, oder einen Riegel Mars. »Nein, danke«, sagte sie tapfer.
Die Mutter verteilte Päckchen mit selbst gemachten Sandwiches und Tüten mit Knabbergebäck an ihre Brut, während der Vater eine dampfende braune Flüssigkeit aus der Thermoskanne in die Tassen füllte.
Alex konnte den kleinen Jungen – etwa sieben oder acht Jahre alt – auf dem Gangsitz in der Reihe vor ihr sehen. Er entfernte mit missmutigem Blick die Frischhaltefolie von seinen Sandwiches.
»Was ist da drauf?«, fragte er.
»Thunfisch und Gurke«, sagte seine Mutter. »Deine Lieblingssorte.«
»Das ist nicht meine Lieblingssorte. Ich hasse Gurke.«
Seine Mutter runzelte die
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