Schuldig wer vergisst
versteckt. Irgendwann, wenn niemand mehr auf sie achtet, kann Rachel ebenfalls verschwinden, sie kommen irgendwo wieder zusammen und fangen gemeinsam von vorne an.«
Eli biss in sein Sandwich, kaute ausgiebig und schluckte den Bissen herunter, bevor er sagte: »Klingt plausibel, muss ich sagen. Möglich. Bleibt nur eine klitzekleine Frage.«
»Ich weiß.« Yolanda spießte etwas von ihrer Kartoffel auf. »Was soll ich machen?«
»Das war nicht die Frage, die mir vorschwebt.« Er zog die Augenbrauen hoch, während er sie ansah. »Ich dachte mehr an die Leiche im Kanal. Wenn es nicht Trevor war, wer dann?«
Da er wusste, dass Serena im Restaurant unabkömmlich war, wartete Mark, bis die Mittagszeit vorüber war, bevor er sie auf dem Handy anrief. »Ich wollte dich fragen, ob ich mal vorbeikommen kann«, sagte er. Egal, wo das Problem lag, am Telefon ließ es sich nicht besprechen.
Serena klang angespannt. »Heute Nachmittag hab ich keine Zeit, Marco. Ich mache Inventur.«
»Inventur?« Eine Bestandsaufnahme ihres Lebens? Das klang ernst.
»Im Restaurant«, erklärte sie. »Bei all den Weihnachtsfeiern sind ein paar Sachen knapp geworden, und ich muss noch vor den Feiertagen einiges nachbestellen, wenn es rechtzeitig da sein soll.«
»Ach so, verstehe.« Er war zwar erleichtert, gab aber nicht auf. »Kannst du dir nicht helfen lassen?«
»Musst du nicht arbeiten?«
»Zufällig«, erwiderte er, »hab ich heute Nachmittag frei. Ich sollte jemanden zum Gericht begleiten, aber die Verhandlung wurde im letzten Moment verschoben. Ich könnte also rüberkommen und dir zur Hand gehen.«
»In Ordnung«, antwortete seine Schwester, und es klang dankbar. »Das wäre großartig.«
Und so waren sie beide wenig später allein im Vorratsraum des La Venezia. Mark zählte und Serena schrieb alles auf.
»Was ist mit Klopapierrollen?«, fragte sie.
»Siebenundzwanzig. Das sind zwei Zwölferpackungen und drei extra.«
»Du liebe Güte«, seufzte Serena. »Damit kommen wir höchstens ein paar Tage hin, so wie das weggeht. Ich muss zum Großmarkt fahren und die Vorräte auffüllen. Keine Ahnung, wann ich das machen soll.«
Sie klang so ungewöhnlich hilflos, dass Mark sich zu ihr umdrehte und den richtigen Zeitpunkt für gekommen hielt. »Hör mal, Serena«, sagte er liebevoll. »Ist alles in Ordnung?«
Serena wandte den Blick ab. »Diese Weihnachtsfeiern. Wir sind derart ausgebucht. Vermutlich macht mir das zu schaffen.« Sie schluckte schwer, und Mark sah mit Entsetzen, dass ihr die Tränen die Wangen herunterliefen. Er konnte sich nicht entsinnen, seine Schwester je weinen gesehen zu haben.
»Es sind nicht nur die Weihnachtsfeiern, stimmt’s?«, hakte er nach und ging ein Stück näher an sie heran. »Da ist noch etwas anderes.«
»Verfluchte Klopapierrollen!« Die Worte platzten aus ihr heraus, als hätte ihre ganze Frustration sich darin zusammengeballt und jetzt entladen; sie beugte sich vor und schluchzte laut.
»Serena!« Mark legte den Arm um ihre Schultern. »Was ist los?«
»Ich... kann... einfach... nicht mehr!«, heulte sie.
»Sag’s mir, sag mir, was los ist.«
»Ich … kann nicht.«
Mark erinnerte sich an ihre frühere Unterhaltung. »Ist es wegen Angelina?«, machte er einen Vorstoß. »Irgendwas wegen diesem Freund?« Seine Fantasie ging mit ihm durch. »Will sie ihn heiraten? Ist sie … schwanger?« Das würde einiges erklären.
»Nein, nein.« Serena schüttelte heftig den Kopf. »Nicht Angelina.«
»Und mit Chiara ist auch alles in Ordnung?«
»Ja, alles bestens.«
Vielleicht war Serena krank, dachte er mit einem flauen Gefühl im Magen. Frauenprobleme. Vielleicht Krebs. Er konnte sich seine Schwester nicht krank vorstellen: außer diesen Fehlgeburten, die sie mit ihrem gewohnten Gleichmut hingenommen hatte, und einer gelegentlichen Erkältung war sie nie krank gewesen.
Aber wieso sollte sie Joe anbrüllen, wenn sie krank war?
Mark wusste nicht, ob er sich wirklich in dieser Richtung vortasten sollte.
Die Ehe seiner Schwester war wie die seiner Eltern stets ein leuchtendes Beispiel für ihn gewesen. Vielleicht war das ein Grund dafür, weshalb er noch nicht verheiratet war: Diese beiden liebevollen Beziehungen, die er immer vor Augen gehabt hatte, waren eine stete Warnung, sich nicht in etwas zu stürzen, das weniger befriedigend sein könnte.
Trotzdem musste er fragen, er musste es einfach wissen.
»Joe?«, fragte er.
Serena kramte nach einem Taschentuch und nahm, als sie keins
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