Schuldig wer vergisst
reden. Eli war klug und erfahren. Zwar konnte sie sich denken, was sie von ihm zu hören bekäme, doch sie würde ihm einfach die Fakten aufzählen und dann weitersehen.
Mark war zutiefst beunruhigt.
Chiara war kein Kind, das sich in seiner Fantasie etwas zusammenreimte. Nein, wenn sie die Befürchtung hatte, in ihrer Familie stimmte etwas nicht, dann war er geneigt, ihr zu glauben.
Serena und Joe schrien sich an? Brüllten, wie Chiara sich ausgedrückt hatte?
Er konnte sich nicht vorstellen, dass Serena irgendjemanden aus irgendeinem Grund je anbrüllte. Sie war der friedlichste, gelassenste Mensch, den er kannte. Mark versuchte sich an irgendeine Gelegenheit zu erinnern, bei der Serena ausgerastet war. Selbst seine frechen Schuljungenversuche,
sie zu irgendwelchen Gefühlsreaktionen zu provozieren, als sie die ersten zarten Regungen für Joe empfand, waren kläglich fehlgeschlagen. Man konnte Serena unmöglich aus der Reserve locken.
Die Unerschütterlichkeit seiner Schwester gehörte zu den Grundfesten seines eigenen Lebens.
Mark hätte sich an diesem Abend gerne Callie anvertraut, wurde aber durch Peters Anwesenheit daran gehindert. Doch er war so offensichtlich mit den Gedanken woanders, dass Callie es bemerkte. Sie begleitete ihn zur Tür, um sich unter vier Augen von ihm zu verabschieden.
»Alles in Ordnung, Marco?«, fragte sie ihn. »Ich hatte das Gefühl, du warst heute Abend nicht ganz da.«
Er schüttelte den Kopf. »Mich bedrückt was. Tut mir leid.«
»Bei der Arbeit?«, hakte Callie nach.
»Nein. Es ist was mit der Familie«, sagte er und verzog das Gesicht.
»Aber nicht mit meiner, oder? Nicht wegen Peter?« Sie klang besorgt. »Ich weiß, dass er mit dieser Kaffeemaschine ein bisschen genervt hat …«
Er beeilte sich, sie zu beruhigen. »Nein, nicht wegen Peter. Natürlich nicht. Nein, es ist la mia famiglia , wie immer.«
»Irgendetwas, das du mir sagen kannst?«, fragte Callie zurück. »Ich bin eine ziemlich gute Zuhörerin.«
Dankbar für das Angebot und ernstlich in Versuchung, es auf der Stelle anzunehmen, schloss Mark sie in die Arme. »Du bist eine wundervolle Zuhörerin, cara mia .« Er küsste sie auf die Nase. »Und ich werde es dir erzählen. Wenn ich selbst klarer sehe. Bald.«
Doch wie sollte er begreifen, was los war, ohne mit Serena zu sprechen?
Auf seinem Weg zur Arbeit machte Neville am Kiosk an der Ecke halt, um die Morgenzeitungen mitzunehmen: Bei dem
Aufgebot an Reportern und Fotografen im Gericht musste etwas über den Fall drinstehen.
Bei keiner Zeitung hatte der Mord es auf die Titelseite geschafft, außer beim Globe . Sie hatten es fertiggebracht, Rachel in dem kurzen Moment zu fotografieren, bevor Neville sich zwischen sie und die Kameras schob. Und sie hatten die Geschichte ausgeschlachtet.
ARME RACHEL lautete die reißerische Überschrift.
»Oh, verdammt«, murmelte Neville. Er zahlte mit einer Fünf-Pfund-Note und steckte anschließend das Kleingeld in die Hosentasche, bevor er in sein schmuddeliges Lieblingscafé ging, um die Blätter kurz zu überfliegen.
»Kaffee«, bestellte er wie immer und wusste, dass er einen starken bekommen würde.
Der Artikel im Globe stammte natürlich von Lilith Noone, seiner alten Nemesis; zuweilen kam es ihm so vor, als sei sie allein zu dem Zweck auf der Welt, ihm das Leben schwer zu machen, auch wenn er wusste, dass sie sich nicht nur mit ihm solche Mühe gab. Wie gewöhnlich hatte sie den Finger auf den einen heiklen Punkt gelegt, mit dem er sich garantiert bei Detective Superintendent Evans in die Nesseln setzte. Er ersparte sich die erste Hälfte, den Druck auf die Tränendrüsen über die arme Rachel, und las am Ende weiter.
»Seit dem Mord an dem angehenden Vater Trevor Norton ist fast eine Woche vergangen. Die Polizei verfügt über Videoaufzeichnungen vom Mörder, und zwar von dem Moment unmittelbar vor dem Verbrechen, das einem Kind unwiederbringlich den Vater nimmt – und das alles nur für einen iPod. Weshalb haben sie das Ungeheuer noch nicht geschnappt, bevor es vielleicht erneut zuschlägt? Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Rowdys unsere Stadt so unsicher machen, dass unbescholtene Bürger sich nicht mehr auf die Straße wagen können!«
Jeden Donnerstagmorgen begab sich Callie zu einer Dienstbesprechung mit Brian ins Pfarrhaus – um ihre Terminkalender abzustimmen, vorauszuplanen und die Ereignisse der letzten Woche zu diskutieren. Während sie nicht das Geringste gegen die Treffen als
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