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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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Objektivität oder Fachwissen, lediglich basierend auf der Gauß’schen Normalverteilung. Hätten sich die beiden anderen Schüler nicht so standhaft geweigert, hätte einer von ihnen die Note bekommen. Einmal abgesehen von der Willkür bei der Notenvergabe, hatte Frau K. eine weitere prägende Lehre vermittelt: Derjenige, der ehrlich ist, wird dafür noch bestraft. Ein Sachverhalt, der im Wertesystem des Gymnasiums eigentlich keinen Platz haben sollte. Das Gauß’sche Erbe ist allerdings nur ein Teil des »Hidden Curriculum«   – des »heimlichen Lehrplans« 2 . Die zweite Kraft, welche die Noten eines jeden Schülers und einer jeden Schülerin bestimmt, ist wesentlich komplizierter zu durchdringen und einzuschätzen, basiert diese doch nicht auf purer Mathematik.
    In der 8.   Klasse saß ich neben meinem besten Freund, der zudem noch ein Mathe-Ass war. Ich schwankte immer zwischen einer Drei und einer Vier   – je nach Themengebiet. Eines Tages schrieben wir eine Klausur, auf die ich sehr schlecht bis gar nicht vorbereitet war. Mein bester Freund tat etwas, das damals bei uns als Ehrensache galt: er ließ mich abschreiben, seine gesamte Arbeit. Ein Gefallen, den ich ihm in anderen Fächern zurückzahlte. Nur war es hier nicht wirklich riskant   – es war, wie gesagt, eine Matheklausur, und wenn zwei Schüler identische Ergebnisse errechnen, ist das wesentlich unverdächtiger als z.   B. in Deutsch. Objektiver geht es nicht, so denkt man.
    Ich schrieb also die gesamte Klausur bei ihm ab, bis auf die letzte Aufgabe, die Zusatzaufgabe. Aus einem mir unerfindlichen Grund wusste ich, wie man sie lösen konnte. Und aus einem anderen unerfindlichen Grund wusste mein Freund es nicht. Ichwies ihn leise, aber eindringlich darauf hin, dass seine Lösung falsch sein musste. Doch er war das Mathe-Ass, nicht ich, und so blieb er bei seinem Ergebnis. Am Ende gaben wir also identische Klausuren ab, mit dem Unterschied der Lösung der letzten Aufgabe. Nach zwei Wochen der Korrektur folgte das Ergebnis. Ich hatte tatsächlich richtig gelegen und das Ergebnis bei der letzten Aufgabe korrekt errechnet, während mein Kumpel wegen seines falschen Ergebnisses keine Punkte bekam. Auf unsere Klausuren, die ansonsten völlig identisch waren, erhielt er eine Zwei Plus und ich eine Drei. Was in der Meta-Kommunikation aus dem Ergebnis hervorgeht, ist frustrierend. Wenn Schüler A Zwei und Zwei zusammenzählt und Vier dabei herausbekommt, wird das als richtig gewertet, doch wenn Schüler B ebenfalls aus Zwei und Zwei Vier macht, ist das weniger richtig. Das erinnerte mich sehr stark an das Verhalten von Frau B. aus meiner Grundschulzeit. Bei der Notenvergabe ist offenbar nicht wichtig, was auf dem Papier steht, sondern die persönlichen und subjektiven Gefühle, welche ein Lehrer mit seinen Schülern verknüpft. Mein Kumpel war in der Klasse das Mathe-Ass, er musste einfach eine gute Klausur schreiben   – das Weltbild musste stimmen. Da hatte ich ihn vor Augen, blau auf weißem Karopapier, den Beweis für einen geheimen Notenvergabeplan, dessen Verästelungen und Spielregeln ich damals nicht zu durchdringen vermochte. Doch es gab definitiv ein»Hidden Curriculum«, das sich an ganz anderen Maßstäben als Leistung oder Fleiß orientierte.
     
    Wie viele Schüler, fragte ich mich, leiden wohl täglich unter diesem Regelwerk? Wie oft werden Weichen von Lehrern unnötig in Richtung Abstellgleis gestellt und andere auf die Überholspur? Und nach welchen Kriterien? Wie wird Leistung generell an deutschen Schulen gemessen? Was macht eigentlich einen Einser-Schüler aus? Michael z.   B.: Er war der Klassenbeste in sämtlichen Fächern, die Ikone. Zumindest nach der Lesart der Lehrer. Seine Klausuren und Zeugnisse waren der Traum aller Eltern. Einser, soweit das Auge reichte. Aber was zeichnete diesen jungen Mann aus, was machte ihn zum Einser-Mann an der Spitze? Er konnte auswendig lernen. Er dachte nicht nach. Er dachte nicht kritisch. Er vernetzte nicht. Er hinterfragte nicht. Er stellte nichts infrage undschon gar nicht die charakterliche Eignung seiner Lehrer. Er hatte keine eigenen kreativen Ideen. Er »dachte nach«, was die Lehrer ihm vordachten. Er schrieb alles auf. Er schrieb alles mit. Er lernte alles auswendig, manchmal wortwörtlich. Die Benotung, die er dafür bekam, lief nach einem einfachen Schema ab: Aufgesagt: Eins! Verstanden: Sechs! Zusammen: Eins!
    Während meiner Schulzeit erlebte ich viele Referendare/Innen​ .

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