Schulterwurf
Körperhaltung,
der durchtrainierte Körper und der wache Blick.
Die anderen in der Gruppe schauten Linh skeptisch an.
»Seht ihr ihn denn nicht?«, fragte Linh. »Den erkennt man doch unter Tausenden sofort!«
»Klar«, schwindelte Michael. »Ich hab ihn auch gleich erkannt.«
»So?«, hakte Lennart nach. »Welcher ist es denn?«
»Na, der!«, behauptete Michael und zeigte prompt auf den Falschen.
Lennart kicherte.
Linh hatte keine Zeit, sich zu empören. Sie war als Betreuerin auserkoren. Also wollte sie den Großmeister auch als Erste
begrüßen. Das Empfangskomitee der Schule hielt sich ihr zuliebe ein wenig zurück: Frau Kick, ihre Sportlehrerin; Uwe Schuster,
Linhs Judotrainer; ein Vertreter des Judo-Ortsverbandes und eben Schuldirektor Professor Stölzer.
Linh zwängte sich durch die Menschenmenge hindurch, bis sie nur noch wenige Schritte von ihrem großen Idol trennten. Dem ersten
Eindruck nach schien der Großmeister ganz normal zu sein. Erwar mit einem Charterflugzeug gekommen, hatte keine Bodyguards dabei und wirkte irgendwie bescheiden. Linh fragte sich, ob
ihm der Strauß Sonnenblumen als Begrüßungsgeschenk gefallen würde. Sie selbst liebte Sonnenblumen über alles.
Ehrfurchtsvoll schaute sie Yamada Yuuto in die Augen und stotterte: »Hal. . . Hallo!« Ihr Hals fühlte sich rau und heiser
an. Sie räusperte sich. »He. . . He. . . Herzlich willkommen. W. . .w. . .wir freuen uns.« Oh, diese verdammte Aufregung!
Sie atmete tief durch und brachte dann fehlerfrei heraus: »Ich bin Linh.«
In dem Moment fiel ihr ein, dass sie deutsch geredet hatte. Einfach so. Das war doch unhöflich. Wieso hatte sie ihn nicht
auf Englisch begrüßt? Linh spürte, wie sie rot anlief. Die erste Begegnung und dann gleich so voll peinlich.
Schnell versteckte sie sich hinter den vollen Sonnenblumen. Es war kaum zu erkennen, wer den Großmeister hinter dem großen
Strauß begrüßte. Fast hätte man glauben können, dass der Strauß selbst zu Yamada Yuuto sprach.
»Sehr schöne Blumen«, antwortete Yuuto. Auf Deutsch! Linh traute ihren Ohren nicht. Zu gern hätte sie gewusst, wieso der Großmeister
Deutschsprach, aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, danach zu fragen.
»Ich liebe Sonnenblumen! Vielen, vielen Dank.«
Yamada Yuuto sah wirklich wie auf ihrem Poster aus, obwohl dazwischen sicher schon zehn Jahre lagen.
»Ich habe die Blumen selbst gezüchtet«, sagte Linh stolz.
»Meine Hochachtung«, lobte Yamada. »Schade nur, dass sie nun für meine Begrüßung sterben müssen.«
Unangenehme Besucher
Sogar die große Stadt-Zeitung hatte es auf der Sportseite gemeldet:
Erstmals in Europa:
Judo-Legende Yamada Yuuto.
Und kleiner darunter:
James-Connolly-Sportschule gewinnt großes Los!
Sie ist Gastgeber für den Großmeister aus Japan.
Linh strich die Zeitungsseite glatt und pinnte sie mit Heftzwecken an eine Stellwand, die im Flur vor der Aula aufgebaut war.
Alle Informationen und Zeitungsartikel, die während des Besuchs des Gastes zu finden waren, sollten hier gesammelt werden.
Schon am ersten Tag hielt Yamada Yuuto einen Vortrag an ihrer Schule. Noch war aber ein wenig Zeit. In einer halben Stunde
würde ihn ein Taxi vonseinem Hotel abholen und zur Schule fahren, wo Linh ihn dann wieder in Empfang nehmen konnte.
»Hilf mir mal.« Linh hatte einen Tapeziertisch auseinandergeklappt, wusste nun aber nicht so recht weiter. Ilka packte mit
an und zusammen stellten sie den Tisch auf. Daneben standen mehrere Buchkisten bereit, die der Verlag geschickt hatte, der
Yamadas Bücher in Deutsch veröffentlichte. Linh hatte sich bereit erklärt, auch den Buchverkauf zu organisieren. Unmittelbar
nach dem Vortrag musste sie in die Sporthalle eilen und sich für den Wettkampf gegen eine Judo-Auswahl der Grünheim-Schule
umziehen. Er sollte im Anschluss an den Vortrag stattfinden.
Ilka klebte ein paar Poster, die der Verlag mitgeschickt hatte, an die Stellwand. Während sich Lennart zusammen mit Herrn
Rittmeier, dem Hausmeister, um die Technik im Saal kümmerte.
Linh sah nervös auf die Uhr. »Wo bleibt denn bloß Jabali?«
Jabali wollte am Eingang zum Vortragssaal Eis verkaufen und dazu seine neuesten Kreationen von zu Hause holen. Wenn er allerdings
weiter auf sich warten ließ, musste er das Eis vermutlich allein essen.
»Das würde ihm auch nichts ausmachen«, lachte Ilka.
»Kommt er nicht da vorne?«, fragte Linh, erkannte aber sogleich ihren Irrtum. Jabali
Weitere Kostenlose Bücher