Schusslinie
sagen. Am Rande der Altstadt.«
»Das lässt darauf schließen, dass wir’s mit
einem ehemaligen Geislinger zu tun haben – einem Mann, der schon lange nicht mehr
hier war, sich aber noch auskennt«, kombinierte Häberle.
»So seh ich’s auch«, meinte der junge Kollege.
»Und was schließen wir da draus?«, überlegte
Häberle und erhob sich.
»Vielleicht …«, Linkohr überlegte und zögerte für einen Augenblick, »… vielleicht,
dass er gekommen ist, um mit jemandem abzurechnen – und dabei selbst den Kürzeren
gezogen hat.«
Michael Rambusch residierte in einem Büro, das jedem Vorstandsvorsitzenden
einer großen Aktiengesellschaft zur Ehre gereicht hätte. Dabei war er nur Inhaber
eines mittelständischen Betriebs in Aalen. Doch das Geschäft mit den Elektronikteilen,
auf die er sich spezialisiert hatte, florierte.
Der Mann, um die 50 und im Freizeit-Look gekleidet,
gab sich gerne burschikos – wie die meisten seiner jungen Mitarbeiter. Er hatte
seinem Gast aus Berlin einen Platz auf der knallroten Ledercouch angeboten, deren
geradezu utopisches Design mehr fürs Auge als fürs gemütliche Sitzen gedacht war.
Rambusch ließ von seiner Sekretärin zwei Espressi servieren und saß dann dem jüngeren
Liebenstein gegenüber. Er hatte zwar viel von ihm gehört, ihn aber noch nie persönlich
getroffen. Sein Besuch war ihm von Ministerialdirektor Gangolf schon vor einigen
Tagen avisiert worden.
»Die Sache entwickelt sich erfreulich«, kam
der Unternehmer schließlich auf das Thema des Zusammentreffens zu sprechen. »Die
Kollegen sind zumeist von der Idee angetan.« Er griff in ein silbern glitzerndes
Metallregal, das er mit ausgestrecktem Arm erreichte, und legte einen weißen Aktenordner
auf den ovalen Glastisch.
Liebenstein verfolgte gespannt, wie Rambusch
darin blätterte und schließlich auf einen Computerausdruck stieß, der nach einer
Aufstellung mit Namen und Zahlen aussah. »Wir haben eine Art Schneeballsystem entwickelt«,
erläuterte er, »jeder unternimmt in seinem Bekanntenkreis entsprechende Vorstöße
– und so weiter. Inzwischen liegen mir positive Antworten von 837 Kollegen vor.«
Er lächelte zufrieden. »Eine erstaunliche Bilanz in der Kürze der Zeit.«
»Und ein Beweis dafür, wie ernst unsere Aktion
genommen wird«, stellte Liebenstein sachlich fest.
»Die Kollegen sehen es als eine Art …« Rambusch blickte überlegend zu seinem weit
entfernt stehenden, weißen Schreibtisch, dessen blitzblanke Arbeitsplatte nur durch
einen Flachbildschirm und ein Telefon gestört wurde. »… ja, sie sehen es als eine
Art Investition in die Zukunft.«
»Das ist es auch«, erklärte Liebenstein mit
fester Stimme, »bedenken Sie, welch gewaltiger Wirtschaftsfaktor Fußball geworden
ist! Wie viel Stadien jetzt umgebaut – oder, wie in München, jetzt neu gebaut wurden.
Das sind keine simplen Fußballstadien mehr – sondern Event-Stätten nie da gewesenen
Ausmaßes. Waren Sie schon mal auf Schalke?«
Rambusch hatte mit dieser Frage nicht gerechnet.
»Nein«, schüttelte er mit dem Kopf, »leider noch nicht.«
»Was da schon vor Jahren entstanden ist, stellt
alles bisher da Gewesene in den Schatten. Dass das Rasenspielfeld mobil ist, also
einfach ins Freie gefahren werden kann, um die Arena auch für andere Veranstaltungen
zu nutzen, ist nur eines der technischen Highlights. Sie sollten die VIP-Bereiche
in München sehen …« Liebenstein geriet
geradezu ins Schwärmen.
»Ich hab das im Fernsehen gesehen …«, entgegnete Rambusch, der sich nicht anmerken
lassen wollte, eigentlich überhaupt kein Fußballfan zu sein. Sein Herz schlug fürs
Segeln.
»Da werden in den Stadien VIP-Logen gebaut,
die wie luxuriöse Konferenzräume gestaltet sind und von denen aus die Mieter und
ihre erlauchten Gäste, für schlappe zwanzig-, dreißig- oder noch mehr tausend Euros
pro Saison, in aller Ruhe aufs Spielfeld hinabsehen können – um sich herum zusätzlich
einen Großbildschirm, auf dem sie Zeitlupen und Nahaufnahmen verfolgen können. Mein
Gott, Herr Rambusch, Sie ahnen nicht, mit welchem Wirtschaftsfaktor wir es zu tun
haben.« Liebenstein griff erneut zur Tasse. »Die treuen Fans, die ihren letzten
Euro zusammenkratzen, um allsamstäglich ihren Verein zu unterstützen, sind zwar
wichtig, aber was da im Hintergrund läuft, sind massive und handfeste geschäftliche
Interessen. Denken Sie an Borussia Dortmund – eine Aktiengesellschaft!«
»Mit mäßigem Erfolg«, wandte Rambusch ein.
Liebenstein
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