Schwaben-Filz
übel. Was immer das heißen mochte. Sie hörte das Versprechen ihres Lebensgefährten, sich um Johannes’ Frühstück und dessen rechtzeitigen Aufbruch zur Schule zu kümmern, bewegte sich müde aus dem Schlafzimmer. Sie setzte die Kaffeemaschine in Betrieb, machte sich dann im Bad zu schaffen. Nach einem dürftigen Frühstück verließ sie die Wohnung.
Kurz vor halb acht hatte sie Reutlingen erreicht. Sie kannte die reizvoll am Fuß der Achalm gelegene Stadt von vielen privaten wie beruflichen Besuchen, steuerte die Richtung des am westlichen Rand auf einer Anhöhe gelegenen Hochschul-Areals an. Unterwegs hatte sie sich bei den Kollegen der Reutlinger Bereitschaftspolizei über die genaue Lage des Fundorts der Leiche informiert und erfahren, dass ein Mann dabei überrascht worden war, wie er die Tote gerade hatte wegschaffen wollen.
»Der Mann konnte überwältigt werden?«
»Wir haben ihn festgenommen, ja«, hatte der Beamte erklärt.
»Er wurde bereits überprüft?«
»Tut mir leid, nein, dazu …«
»Wie steht es mit seinen Personalien?«
»Wir sind gerade dabei, sie zu ermitteln.«
»Und was ist mit der toten Frau? Ihre Identität ist geklärt?«
»Nein. Der Festgenommene behauptet, sie nicht zu kennen.«
Neundorf hatte den Kollegen ihr baldmöglichstes Erscheinen zugesagt, war dann auf dem kürzesten Weg nach Reutlingen gefahren. Gerade als sie die gesuchte Adresse erreichte, hatte sich der Beamte telefonisch bei ihr gemeldet und ihr den Namen des vermeintlichen Täters mitgeteilt.
»Ein Götz Hellner, gemeldet in Reutlingen.«
»Haben wir ihn im Computer? Irgendeine Auffälligkeit, eine Straftat, ein alter Bekannter?«
»So weit sind wir noch nicht«, hatte der Kollege erwidert, Verlegenheit in der Stimme. Lautes Rufen war aus dem Hintergrund zu vernehmen. »Wir kommen im Moment auch nicht dazu. Hier stehen dermaßen viele Schaulustige. Wir haben alle Hände voll zu tun …« Er war mitten im Satz von schrillem Kreischen unterbrochen worden.
»Zwoi Dote, wirklich?«
Neundorf sagte ihm zu, sich um die Überprüfung des Mannes zu kümmern, übermittelte Stöhr den Auftrag.
»Wie lautet der Name?«
»Hellner, Götz.«
Sie beendete das Gespräch, sah die Straße vor sich von einer anscheinend endlosen Autoschlange verstopft. Mehrere Fahrer hupten ungeduldig, andere standen mitten auf der Fahrbahn, mit aggressiven Mienen nach vorne starrend.
Sie rangierte ihren Wagen in eine Parklücke, klemmte das Schild
Dienstfahrzeug/Polizeiliche Ermittlungen
unter die Windschutzscheibe, folgte dann dem schmalen Gehweg. Das aufgeregte Palaver der am Fundort der Leiche versammelten Menschenmenge war schon von Weitem zu hören. Die Straße lag an dieser Stelle in einer leichten Kurve. Herbstlich verfärbte, nur vereinzelt schon ihres Blattwerks beraubte Büsche und Bäume gaben ab und an die Sicht auf großzügig ausgebaute Mehrfamilienhäuser und weitläufige Eigentumswohnungskomplexe frei. Eingebettet in eine parkähnliche Landschaft mit penibel gemähten Rasenflächen, einzelnen Sträuchern und großzügig bemessenen, in den Hang geschobenen Tiefgaragen kündete das gesamte Viertel vom Wohlstand seiner Bewohner. Hier lebten keine unterbezahlten Polizeibeamten, überlegte Neundorf, hier gaben sich besser betuchte Herrschaften die Klinke in die Hand.
Sie näherte sich der heftig diskutierenden Menge, schob sich an mehreren Frauen und Männern vorbei, schlüpfte dann unter dem rotweißen Absperrband hindurch.
Zwei uniformierte Beamte schossen fast gleichzeitig auf sie zu, packten sie von beiden Seiten an den Armen, versuchten, sie zurückzudrängen.
»Halt, junge Frau, do gohts et weiter«, schimpfte der Ältere, ein korpulenter, verärgert dreinblickender Kollege im älblerischen Schwäbisch. »Des ischd a polizeiliche Ondersuchung. Hent Sie koi Auge em Kopf …« Er verstummte mitten im Satz, starrte perplex auf ihren Ausweis, den sie ihm vor die Nase hielt.
»LKA«, stellte sie sich vor, »Neundorf ist mein Name.«
Der Mann zog seine Hände zurück, musterte sie ungläubig. »Sie?«
»Was will denn die Schlampe?«, rief eine kräftige, männliche Stimme aus der Menge, »die denkt wohl, sie ka sich älles erlaube, wie?«
Die Kommissarin reagierte nicht, wartete, bis die beiden Uniformierten endlich soweit waren, zu begreifen, wen sie vor sich hatten und ihr freien Durchgang gewährten.
Sie lief zum Gartenzaun, sah sich einer völlig veränderten Szenerie gegenüber. Links und rechts von großzügig
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