Schwaben-Filz
Feuchtigkeit von der Haut. Im selben Moment hörte er, wie die Außentür ins Schloss fiel. Er drückte das Tuch an seine Brust, lief zu dem kleinen Fenster, starrte in die Umgebung.
Das Gelände lag in nächtlicher Ruhe vor ihm, nichts schien verändert. Der Garten herbstlich verfärbt, zwar noch mit intensivem Bewuchs, die Äste und Zweige der Bäume und Büsche jedoch teilweise schon ihres Laubs beraubt. Am Rand des schmalen Wegs, der zur Straße führte, Stapel dünner Äste und Stämme, Berge von Holz, das Hellner dort für den Winter lagerte. Er wandte den Blick zur Seite, sah eine kräftige, nach vorne geduckte Gestalt zur Gartenpforte huschen. Auch wenn er sich noch so klein zu machen suchte, er erkannte ihn sofort: Götz Hellner, sein Freund, in dessen altem, etwas vergammelten, kleinen Haus er hier für wenige Tage als Gast logierte.
Er schielte zu seinem Arm, sah, dass es gerade drei Uhr war, mitten in der Nacht, wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Wieso schlich Hellner sich um diese Zeit aus dem Haus?
Eine Windböe fuhr durch den Garten, wirbelte Blätter und kleine Zweige in die Höhe. Büsche, Stauden und Äste wogten hin und her. Weissmann starrte zur Gartenpforte, sah Hellner darüberklettern und auf die Straße verschwinden. Er wusste, wie abgespannt und verbittert der Mann zur Zeit war, hatte schon kurz nach seiner Ankunft erschrocken das Ausmaß seiner Verstimmung zur Kenntnis genommen. So hatte er den Freund seit ihren gemeinsamen Kindertagen kaum erlebt. Machte ihm die berufliche Veränderung dermaßen zu schaffen?
Er wusste um den Stress des Mannes, kannte den Moloch aus Lügen, gesetzeswidrigen Machenschaften und Intrigen, denen Hellner seit seinem Wechsel nach Berlin ausgesetzt war. Sie trafen sich oft genug in der Hauptstadt, tauschten ihre Erfahrungen bis ins Detail aus. Nie zuvor hatte Hellner es so sehr bereut, seine alte Tätigkeit aufgegeben zu haben. Das sei mit Abstand die schönste Zeit seines Lebens gewesen, hatte er ihm wieder und wieder versichert, warum nur war er nicht in Reutlingen geblieben?
Junge, wissbegierige Leute aus allen Teilen der Welt um sich, vorurteilsloser Austausch von Informationen, Gespräche, Diskussionen mit Experten aus sämtlichen Kontinenten, Kolloquien, Konferenzen, Tagungen – so hatte er es geschildert. Dazu der enge Verbund mit der real existierenden Welt, die Ausarbeitung konkreter Konzepte zur Gesundung und Stabilisierung kleiner und großer Betriebe – mit vollem Engagement hatte Hellner dafür gekämpft, Arbeitsplätze zu erhalten, oft sogar, neue zu schaffen. Und unzählige Male war es ihnen gelungen. Für ihn war die Tätigkeit als Dozent an der Reutlinger Hochschule zur Erfüllung geworden. Woche für Woche hatte er seine Arbeit an der ESB Business School, der betriebswirtschaftlichen Fakultät der Hochschule, genossen. Doch dann der unselige Entschluss, nach Berlin zu wechseln, sich in die Fänge des dortigen korrupten Geflechts zu begeben …
Weissmann spürte seine Erschöpfung, fühlte sich zu müde, noch länger über all das nachzudenken. Ohne Licht zu machen, tastete er sich vorsichtig zu seinem Bett zurück. Was immer Hellner beabsichtigte, es ging ihn nichts an. Der Mann musste mit seinen nächtlichen Exkursionen selbst zurechtkommen. Schließlich war er kein kleines Kind mehr, das einen Aufpasser benötigte.
2. Kapitel
Es war spät geworden am Abend zuvor. Der sportliche Erfolg ihres Sohnes Johannes, unglücklicherweise an einem Dienstag erzielt, war von seinen Freundinnen und Freunden ausgiebiger gefeiert worden als Katrin Neundorf und ihr Partner Thomas Weiss es erwartet hatten. Hätte der 14-Jährige seinen Titel als erfolgreichster Teilnehmer im Badminton bei
Jugend trainiert für Olympia
im Bereich des Regierungspräsidiums Stuttgart an einem Freitag erzielt, niemand hätte einen Einwand formuliert, die Party aufs nahe Wochenende zu verlegen, nicht einmal ein Donnerstag hätte Anlass zu dieser Ablehnung gegeben. Der Dienstag aber …
»Ihr glaubt doch nicht, dass ich bis zum Samstag warte? Sechs Tage? Was denken die Jungs denn da von mir?«
Weder der Einwand Neundorfs, dass es sich von Dienstag bis Samstag um eine Zeitspanne von vier und nicht von sechs Tagen handelte, noch der Hinweis darauf, dass man die Feierlichkeiten angesichts des folgenden Sonntags nicht am frühen Abend schon würde zu einem Ende bringen müssen wie unter der Woche, wurden als stichhaltiges Argument akzeptiert.
»Ich habe nun mal am
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