Schwaben-Liebe
vorgeschlagen, »für den Sommerurlaub, einverstanden?«
Natürlich hatte er zugestimmt, wie fast immer, wenn sie ein Anliegen auf dem Herzen hatte. Sie wollten sich ein besonders schönes Hotel gönnen, sie drei, darin waren sie übereingekommen, sie wollten es sich gut gehen lassen im Sommer – das war doch in Iris’ Sinn. Und jetzt?
5. Kapitel
September
Dass die Untersuchung des Todes von Tobias Hessler von einem Ermittler allein unmöglich zu bewerkstelligen war, hatte Braig angesichts der überaus verworrenen Situation am Tatort sofort begriffen. Noch auf der späten Rückfahrt von Aalen nach Stuttgart hatte er deshalb im Amt Bescheid gegeben und die Mitarbeit einer Kollegin oder eines Kollegen für den nächsten Morgen angefordert.
Jacqueline Stührer saß einen Laptop in Händen auf einem Stuhl vor seiner Bürotür, als er am nächsten Morgen kurz nach halb acht im Amt eintraf. Die junge Frau war zwar erst seit wenigen Wochen im Rang einer Kriminalkommissarin tätig, sie war Braig jedoch schon nach kurzer Zeit aufgefallen. »Ich bitte Sie um besondere Nachsicht bei der Zusammenarbeit mit Frau Stührer«, hatte ihn Kriminaldirektorin Maria Schmeckenbecher, die neue Leiterin der Abteilung Gewaltkriminalität, ausdrücklich gebeten, »ich denke, Frau Stührer in Ihrem Team, das kann funktionieren. Aber bitte, geben Sie ihr nicht nur eine, sondern mehrere Chancen.« Er hatte sie verwundert gemustert und schon zu einer Nachfrage angesetzt, als sie ihm mit einer weiteren Bemerkung zuvorgekommen war. »Wundern Sie sich bitte nicht über meine kryptische Ausdrucksweise. Sie werden mich bald verstehen.«
Er hatte seine neue Vorgesetzte in der Tat bald verstanden.
Jacqueline Stührers fachliche Qualitäten waren ohne Zweifel vorhanden, sie hatte keine Probleme, den beruflichen Anforderungen gerecht zu werden. Über ihr ganz alltägliches Sozialverhalten dagegen hatte sich Braig schon ein ums andere Mal gewundert.
Sie sprang von ihrem Stuhl, als sie ihn bemerkte, schob das Mobiliar zur Seite, baute sich kerzengerade vor seiner Bürotür auf. Fehlt nur noch die militärische Begrüßung, überlegte er.
»Frau Stührer, guten Morgen«, grüßte er. »Sie wollen zu mir?«
Sie warf ihre lange, rabenschwarze Mähne zurück, verzog keine Miene. »Ich wurde Ihnen zugeteilt. Ermittlungssache Hessler. Ich suchte die Unterlagen. Es existiert nur eine Kurzinformation. Die ist völlig unzureichend.«
Braig streckte ihr die Hand entgegen, bemerkte, dass sie nicht reagierte. »Das ist richtig, ja. Ich fand leider noch keine Zeit dazu, weil ich erst kurz nach Mitternacht von Aalen zurückkam. Sie müssen sich vorläufig mit meiner mündlichen Zusammenfassung begnügen.« Er lief in sein Büro, fuhr seinen Computer hoch.
»Das ist nicht gut«, erklärte sie von der Tür her. »Ohne korrekte schriftliche Unterlagen lässt sich eine Ermittlung nur schlecht durchführen.«
Er wandte sich ihr zu, musterte sie mit kritischem Blick, besann sich gerade noch rechtzeitig der Bitte seiner Vorgesetzten. »Dann müssen wir eben das Beste daraus machen«, beharrte er. Er schaute die eingegangenen Mails durch, merkte, dass zum aktuellen Fall noch nichts vorlag. Auch in der Hauspost und der Fax-Ablage war nichts zu entdecken. »Gut, dann werde ich Sie jetzt mit den bisher bekannten Fakten vertraut machen.« Er wandte sich ihr wieder zu, sah sie immer noch stocksteif an der Tür stehen. »Was soll das?«, fragte er verwirrt. »Wollen Sie nicht ...« Er wies auf den Stuhl neben seiner Telefonanlage.
»Sie bitten mich in Ihr Büro?«
»Damit ich Ihnen die Hintergründe besser erklären kann.«
Jacqueline Stührer löste sich von der Türschwelle, lief zu dem angebotenen Platz. Sie war eine große, attraktive Frau mit einem wohlproportionierten, durchtrainierten Körper. Ihr Gesicht zeigte einen leichten Anklang asiatischer Züge, verursacht durch die schmalen Augen und die tiefschwarzen Haare und Wimpern. Braig schätzte sie auf Mitte, höchstens Ende zwanzig. Er wartete, bis sie ihren Laptop betriebsbereit vor sich hatte, schilderte ihr alles, was er zu der Ermittlung der Todesursache Tobias Hessler wusste.
Sie lauschte aufmerksam, tippte Stichworte mit, sah ihn dann mit großen Augen an. »Das ist alles?«
»Ich denke, ja.«
»Der Familienstand des Mannes ist nicht bekannt?«
»Doch«, antwortete Braig, »darüber habe ich mich gestern Abend noch informiert. Laut meinen Unterlagen ist er geschieden und hat zwei minderjährige
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