Schwaben-Liebe
Wohnung, sahen, dass alles in Ordnung war. Der Einbrecher hatte entweder keinen Erfolg gehabt oder keinerlei Spuren hinterlassen.
»Der hat die Schlösser net packt«, kommentierte der Spurensicherer.
Hessler war es materiell wohl sehr gut gegangen, er hatte auch einigen Wert auf ein gepflegtes Umfeld gelegt. Das gesamte Mobiliar war von erlesener Qualität, alle Räume sorgsam hergerichtet und sauber geputzt.
»Alle achtzig Deifel von Sindelfinge, do dät i’s net aushalte«, brummte Rössle, »des isch ja steriler wie in oserem Labor.«
Hinweise auf weitere Familienangehörige waren nicht zu erkennen, lediglich zwei Fotos an der Wand seines Arbeitszimmers deuteten darauf hin, dass es Menschen in seiner unmittelbaren Nähe gegeben hatte: zwei junge Mädchen auf seinen Armen auf dem einen Bild, eine ältere Dame stolz zu ihm aufsehend auf dem anderen.
»Seine Mutter, vermute ich mal«, meinte Braig, »so, wie die ihn anhimmelt.«
»Ond was isch mit dene Mädle?«
»Laut meinen Unterlagen ist er geschieden und hat zwei Töchter, die aber bei der Mutter leben.«
»Du hasch ihre Adresse?«
Braig wies auf den kleinen Kalender, den er in einer Schublade des großen Wandschranks im Arbeitszimmer entdeckt und beim ersten Durchblättern als Adressenverzeichnis identifiziert hatte. »Ich hoffe, da ist alles drin.« Er suchte nach einem Schlüssel für die Türen des Schranks, fand ein ganzes Bündel davon in einer Buchattrappe auf dem obersten Seitenregal. Er probierte einen nach dem anderen, öffnete sämtliche Schranktüren. Ein Laptop, mehrere Kameras samt reichhaltigem Zubehör, unzählige Schachteln voller klein- und großformatiger, farbiger Bilder, dazu eine unübersehbare Anzahl von Mini-Disketten, CD-Roms und DVDs waren darin verwahrt.
Braig blätterte einige Fotos durch, sah, dass es sich vor allem um Motive aus dem Südwesten Deutschlands handelte. Das Hohenzollernschloss über Hechingen, die Achalm bei Reutlingen, das Favoriteschlössle in Ludwigsburg, die Comburg bei Schwäbisch Hall, das Schloss in Sigmaringen, Burg Teck über dem Steilabfall der Alb, das Neue Schloss mitten in Stuttgart, Kloster Beuron im Donautal, Schloss Monrepos bei Ludwigsburg, Kloster Lorch über dem Remstal, Schloss Solitude über Stuttgart, Esslingens Altstadt mit der sie überragenden Burg. Ein Bild schöner als das andere. Wie der unerschöpfliche Fundus eines Touristikunternehmens.
Er bemerkte, dass Rössle sich den CD-Roms und DVDs zugewandt hatte, bat den Kollegen, stichprobenartig zu überprüfen, was darauf abgespeichert war.
»Du moinsch, du kriagsch a paar nackete Weiber zu sehe?«, frotzelte der Spurensicherer. Er schaltete das Fernsehgerät in der Ecke des Arbeitszimmers ein, legte eine DVD in den Player. Klassische Musik toste brüllend laut durch den Raum, ein Mann in den Fünfzigern, bekleidet mit hellem Anzug und gemusterter Krawatte erschien auf dem Flachbildschirm. Er blickte freundlich lächelnd in die Kamera, öffnete den Mund.
»Verdammter Mischt«, schimpfte Rössle, schaffte es gerade noch, den Ton leiser zu drehen, bevor der Mann losschreien konnte.
»Ich bin der Thomas«, begann der Unbekannte mit gedämpfter Stimme. »Ich genieße das Leben jeden Tag. Besonders jetzt im Frühling, wenn die Natur uns ihre schönste Seite zeigt. Zu Hause bin ich in der Nähe vom Bodensee. Urlaub im Alltag, das ist passend zur Landschaft meine Lebensweise. Was mir fehlt, ist eine liebe Partnerin, mit der ich die Tage noch intensiver genießen kann. Vielleicht geht es dir genauso? Dann sollten wir uns treffen. Wie wäre es mit einem gemeinsamen Essen etwa in Überlingen irgendwo am See?«
Rössle stoppte die Wiedergabe der DVD genau in dem Moment, als der Mann bei dem Versuch, sein Lächeln zu intensivieren, sein Gesicht zu einer unansehnlichen Grimasse verzog. »A bissle hausbacke, oder?«, brummte er. »Ob des heut noch oine hinterm Ofe vorlockt?«
Der Kommissar nickte, hatte den gleichen Gedanken. »Altmodisch und bieder. Ich denke, die Aufnahme ist schon ein paar Jahre alt. Hesslers Internet-Auftritt ist da wesentlich progressiver.« Braig wusste, wovon er sprach. Am Morgen, während seines kurzen Frühstücks, hatte er die Internet-Präsentation von Hesslers Agentur gemeinsam mit seiner Partnerin betrachtet. Sie war ansprechend gestaltet, wirkte seriös und herzlich zugleich, animierte Kontakt suchende Menschen, ihr Glück auf diesem Weg zu versuchen. Hessler selbst stellte in einem kurzen Film ausgewählte
Weitere Kostenlose Bücher