Schwaben-Wut
Geschehen und dem vorläufigen Stand der Ermittlungen erkundigt, danach war der Kommissar kurz auf die Bitten zweier Journalistinnen der Lokalzeitung und des regionalen Rundfunksenders eingegangen, ihnen erste Informationen zu überlassen. Wenige Minuten später hatte es neue Unruhen unter der aufgeregten Menge gegeben, als zwei Männer mit einer verhüllten Bahre quer über den Hof marschiert und dann – keine zehn Minuten später – jetzt schwerer tragend, wieder zurückgekommen waren.
Braigs und Buschs Erkenntnisse beschränkten sich auf den Sachverhalt, dass niemand Hans Greiling an diesem Abend beobachtet hatte, obwohl mehrere der befragten Personen den Mann nach eigener Aussage gekannt hatten. Aufgefallen, die Treppe benutzt oder zumindest in ihre Richtung gelaufen zu sein, waren der betrunkene Bauunternehmer Albrecht Schwarz – der hatte durch lautes Schreien auf den Fund der Leiche aufmerksam gemacht, -und mehrere irgendwie südländisch oder türkisch aussehende Männer. Je genauer sich Braig diese Ausländer skizzieren ließ, desto verschwommener wurde ihr Bild: Von Gestalten mit dichten dunklen Haaren über Vollbärtige bis zu Halb- und Dreiviertelglatzen reichte die Erinnerung. Die Beschreibung passte auf alle und jeden, nicht ein übereinstimmendes Charakteristikum ließ sich ermitteln.
Allein die Erwähnung eines Burschen im Alter von vielleicht 18 Jahren ließ Braig aufhorchen, waren sich drei an völlig verschiedenen Plätzen sitzende Zeugen über das Verschwinden dieses jungen Mannes in Richtung der Treppe gegen zehn Uhr etwa doch ziemlich sicher. Er wurde als nicht allzu groß, schlank und künstlich blondiert beschrieben, dazu mit dünnem Oberlippenbart und einer schmalen Sonnenbrille im Gesicht, was umso verwunderlicher war, als die Nacht zu jenem Zeitpunkt bereits angebrochen war – alles in allem eine viel zu auffällige Erscheinung, als dass sie auf einen Kriminellen, der im Dunkeln tötete, passen konnte. Aber war das Verbrechen wirklich beabsichtigt gewesen?
Der Kommissar hatte sich die Namen und die Anschrift der möglichen Zeugen notiert und ihre Bereitschaft dazu eingeholt, sonntags gegen zwölf Uhr im Landeskriminalamt mit einem Spezialisten zusammen ein Fahndungsbild des jungen Mannes zu erstellen. Sie mussten nach der auffälligen Person suchen – und sei es nur deswegen, um hundert Prozent sicher zu gehen, dass der Jugendliche mit dem Verbrechen unterhalb der Treppe auch nicht das Geringste zu tun hatte.
Zehn Minuten nach zwei war die Musik überall in der Stadt verstummt. Braig nahm die Nervosität und aufgeregte Stimmung der nur langsam nach Hause strömenden Menschen vor Müdigkeit und Erschöpfung kaum wahr, sehnte sich nur noch nach seinem Bett und ein paar ruhigen Stunden.
5. Kapitel
Steffen Braig schlief am Sonntagmorgen bis kurz nach neun, wurde vom Läuten des Telefons geweckt. Schlaftrunken schälte er sich aus den Federn, nahm den Hörer ab. Barbara Sorg war am Apparat, erkundigte sich nach seinem Befinden, den aktuellen Ermittlungen, einem Ersatz für das gestern ausgefallene Treffen.
Er hatte sie vor wenigen Wochen auf der Rückfahrt von Hamburg im Zug kennengelernt. Drei Tage hatte er mit seiner Mutter in der Stadt im Norden verbracht, eingeladen von seiner ehemaligen Nachbarin Elisabeth Ungemach, einer älteren Journalistin, die an die Elbe zurückgekehrt war. Gemeinsam hatten sie eine Schiffstour nach Schulau-Wedel, einen Stadtbummel und eine Bahnfahrt nach Westerland unternommen und seine Mutter hatte wieder einmal, – wie schon vor Jahren nach ihrem ersten Ausflug nach Hamburg – zu einem normalen Verhalten ihrem Sohn gegenüber zurückgefunden. Ihre von krankhafter Eifersucht ausgelösten Vorwürfe gegen diesen waren schlagartig verstummt, ihre bissigen Bemerkungen über seinen Lebenswandel mehr und mehr freundlichen Kommentaren gewichen. Die einzige kleine Auseinandersetzung zwischen ihnen resultierte aus der Bereitschaft Frau Ungemachs, seine Mutter für länger in Hamburg zu beherbergen und seiner erfreuten Zustimmung auf dieses Angebot. Sie müsse sofort wieder mit ihm zurück, hatte seine Mutter in diesem Moment mit gewohnt unnachgiebiger Verbissenheit betont, könne sich den Aufenthalt im Norden nicht länger erlauben, weil irgendeine Maria Sowieso auf sie warte.
Braig hatte sich über diese Bemerkung gewundert, da seine Mutter bisher Kontakten gleich welcher Art weitgehend verschlossen geblieben war, hatte aber keine Gelegenheit mehr gefunden,
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