Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
Vom Netzwerk:
langsam, dass wir es kaum merken. Es ist eine List. Er will uns bei lebendigem Leib den Kopf abbeißen, er will, dass wir sehenden Auges ins Verderben rennen. Der Plumplori ist ein Sadist.
     
    Aber züruck zu Dr. Blume. Ich stand also, sagte Sydow, krumm vor der Haustür und suchte vergeblich nach dem Klingelknopf. Es ist schwer, in einer derart verdrehten Haltung alle Klingelknöpfe ins Gesichtsfeld zu bekommen, und ich grämte mich sehr. Ich kam ins Sinnieren, wegen der verbotenen Blume, ob man hier keine Blumen abgeben dürfe, wegen allfälliger Allergiker in den Warteräumen.
    Schon wieder dieses Schwadronieren, sagte Glaser, er warf einen Blick hinaus, es wurde schon dunkel. Wir wollten doch proben.
    Ich schwadroniere nicht. Dieses Schild mit der verbotenen Tulpe ist der Praxis Dr. Blume keinesfalls zuträglich. Alle suchen verzweifelt nach dem Klingelknopf, aber da ist keiner. Wie kann das sein, denken die Leute, krumm lehnen sie an der Regenrinne und starren das Klingelschild an, hangeln sich wieder und wieder durch die einzelnen Namen, Blume, denken sie, da muss doch, wie kann denn das, sie werden immer hektischer und klingeln dann, vor lauter Verzweiflung, irgendwo bei den Nachbarn. Sie fragen, wo ist bitte Praxis Dr. Blume? Ich bin schwer krank. Die Nachbarn aber haben es satt, sicher, die Leute sind schon krumm, so krank, aber irgendwann wird alles Routine, und man stumpft ab. Da kann dann einer kommen, krumm und schief oder aus allen Ecken und Enden bluten, weil er zum Beispiel von einem Krähenschwarm überfallen –
    Angefallen –
    Angefallen wurde und –
    Krähen fallen keine Menschen an.
    Ich sah vor der Praxis Dr. Blume, als ich nach meiner verdatterten Konsultation von dannen zog, einen Krähenschwarm, wie mir nie zuvor einer begegnet ist. Es war dämmrig, ein unguter November. Das alles hätte ich natürlich nicht mitgekriegt, wenn ich nicht plötzlich kerzengerade und wundergeheilt aus der Tür getreten wäre. Mir schien, als hätte ich nie einen solchen Abend erlebt, eine solche Menge Krähen, es war zum Fürchten. Sie flogen über das Viertel, sie flogen so niedrig, man konnte ihnen in die Gesichter schauen, direkt in die Augen hinein. Hast du einmal den Krähen in die Augen geschaut? Es ist, dass einem kalt werden muss davon, es ist, dass das Schreien und Rufen einem den Reißverschluss aufmacht von der Brust und einem was ins Herz hineinfasst und ins Eingeweidliche und –
    Hör auf. Hör damit auf.
    Sydow blickte auf und warf Glaser einen raschen Blick zu, okay, sagte er, okay.
    Was war denn mit Simon los, dachte er. Er wirkte so – tja. Vielleicht täuschte er sich ja auch.
     
    Ich könnte mir in den Hintern beißen! Da hat er kurz aufgemerkt, nanu, hat Sydow gedacht, Simon wirkt ja so – und schon wars wieder vorbei, vielleicht täusche ich mich ja auch, denkt er. Weit gefehlt! Aufgewühlt, Glaser wirkte regelrecht aufgewühlt, fast schon wütend, er hat mir das später übrigens bestätigt, es hing mit dem praktisch identischen Wortlaut zusammen, dem Wortlaut von Frederik mit dem aus dem Schlachten text, ich habe es schwarz auf weiß vor mir. Die Krähen, Tausende und Abertausende von Krähen, wie sie tief über dem Musikviertel in Leipzig kreisen, über der Mozartstraße, der Beethovenstraße, es ist schon dämmrig. Und dort an der Ecke trifft er auf die Frau und –
     
    Dieses Schild, sagte Sydow aufgeräumt, bringt einen ins Nachdenken. Man ist so gefesselt von dem ungewohnten Emblem, dass man ganz übersieht, was daruntersteht. Man sieht die durchgestrichene Blume. Erst wenn man dann einen zornigen Nachbarn herausgeklingelt hat und der auf die Blume zeigt und lauernd sagt: Was bitte ist das hier.
    Und man antwortet: Ein Heideröschen?
    Nein, sagt der Nachbar, nein.
    Eine Tulpe, eine Narzisse gar?
    Wollen Sie mich verarschen, fragt der Nachbar, er war vorher schon wütend, jetzt wird er gefährlich, das ist eine Blume.
    Ist denn ein Heideröschen keine –, will man gerne fragen, aber man verkneift sich das. Der Mann scheint kein Botaniker zu sein und er fragt nicht, um was von einem zu lernen. Ja, sagt man also, eine Blume. Es ist aber, sagt der Nachbar mit liebenswürdiger Stimme, keine gewöhnliche Blume. Nein?, fragt man hoffnungsvoll, ein Heiderös–
    Nein, sagt der Nachbar, es ist überhaupt keine Blume.
    Keine Blume, wiederholt man ernsthaft verwirrt, ist der Nachbar recht bei Trost? Ist es ein verrückter Patient, den schirmenden Praxisräumen entwichen und dabei,

Weitere Kostenlose Bücher