Schwätzen und Schlachten
klein. Er, Frederik, hätte das verständlich gefunden, er hätte es regelrecht originell gefunden.
Originell, moserte Olaf, sexistisch ist das, du solltest Mathias mal sagen, dass man sich mit solchen Sprüchen heutzutage keine Freunde mehr macht.
Ich holte tief Luft und zählte bis zehn. Ich dachte an mein Karma und dass Unheil bringende Reden nicht günstig sind. Ich sags ihm, sagte ich.
Wo, wiederholte Stanjic, ich hatte keine Ahnung. Es war ein Driften, ein Gleiten und Schlittern durch die Tage, Nächte und Wochen. Ich habe nun nicht gerade gewalttätige Fantasien entwickelt, sagte David Stanjic vertraulich, während er in eine kleine Straße einbog, dafür bin ich nicht der Typ.
Stanjic vermutete – nach dem Studium diverser Bücher, die sich mit der Psyche und ihren ausgekochten Raffinessen beschäftigten – er vermutete, sein nicht auch nur ansatzweise vorhandenes Gewaltpotenzial lag an seinen mangelhaft ausgeprägten, positiven männlich-aggressiven Anteilen. Sein schwieriger familiärer Hintergrund mitsamt generell abwesendem und, ob nun da oder nicht, vor allem trunksüchtigem Vater als auch fleißig doublebindender Mutter war natürlich in dieser Hinsicht ein Griff ins Klo.
Ich schaffe es, sagte er, maximal bis zur Autoaggression.
Obwohl die so ungesund sein soll, murmelte Sydow.
Aber, fuhr Stanjic unbeirrt fort, und das ist das Gute daran, bis zum Mord langt es auch dort nicht.
Stanjic hätte, Verzweiflung hin oder her, niemandem auch nur eins über die Rübe gezogen und hätte sich aber auch nicht an seiner eigenen erdrosselt.
Und Glaser? Er war sich nicht sicher. Gewiss, er hatte bei ihm gewohnt, sie machten miteinander Musik und hingen auch sonst viel zusammen herum, aber er hatte recht eigentlich nicht das Gefühl, ihn zu kennen.
Warum?
Schwer zu sagen. Bei manchen Menschen ist das so, bei anderen nicht. Frederik zum Beispiel, er warf ihm einen raschen Blick zu und hoffte, er würde nicht merken, dass er schon zum dritten Mal ums Karree kurvte in der Hoffnung auf einen lastwagengroßen Parkplatz, Frederik war für ihn ein offenes Buch.
Aber geht es uns nicht genauso?
Ihnen und mir? Kennen wir Simon Glaser?
Nee, natürlich nicht! Wie mein Lektor oberschlau anmerkte, wie auch, wenn du uns nichts erzählst!
So einfach ist das nicht, verteidigte ich mich. Sicher, hinterher hat sich für mich so allerhand entschlüsselt, hinterher konnte ich doch einiges über Glaser enträtseln und fügt sich eins zum anderen – aber, ganz ehrlich: Er bleibt mir fremd. Ich verstand hinterher, was er tat, aber ich verstand nie bis ins Letzte, warum.
48. Von Männern und Plauzen
Stanjic war im Grunewald gewesen und der ist schön. Er saß auf einer Bank an der Kiesgrube, schaute ins bizarre Tal und dachte nach. In dem Text war es nicht schön. Er fand den, der da dachte und in dem was dachte, ungut und unkalkulierbar. Er schien unter einer enormen Spannung zu stehen und er mochte sich nicht vorstellen, was der anstellte, wenn ihm das Fass überlief. Und er hatte das Gefühl: Das Fass würde zwangsläufig einmal überlaufen. All das passte, wie er fand, wie die Faust aufs Auge, auf Glasers Auge nämlich.
Stanjic fuhr vom Grunewald aus ins Tante , um sich mit Frederik zu beraten. Dass Glaser dort auftauchen würde, war unwahrscheinlich. Er war abwesend und abwesend, was sich aber, anders als etwa in der Mathematik, nicht gegenseitig aufhob.
Er saß dann dort alleine an der Theke herum und schaute Anna Snozzi zu, sie befüllte Zuckerdosen mit Würfelzucker, Milchkännchen mit Milch, Kaffeekannen mit – kurzum, sie führte eine jede Materie in das für sie vorgesehene Behältnis, eine beruhigende, sinnhafte und auch schöne Tätigkeit. Stanjic schaute ihr zu und aß ein Stück warmen Zwetschgenkuchen mit Schlagsahne, wunderte sich, dass Sydow nicht auftauchte.
Frau Sydow kam und machte eine Pause vom Kuchenbacken. Sie roch so, wie Omas riechen sollten, nach Hefe, Zimt und Butter, sie roch so, wie – aber das dachte Stanjic nur ganz heimlich und extrem leise, er wusste haargenau, mit so was durfte man sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen – sie roch so, dachte er flüsternd, wie alle Frauen riechen sollten. Er fand das einen umwerfend wohnlichen und begrüßenden Geruch, er fand das ungemein fraulich.
Sie setzte sich dazu und sprach mit ihm, er hörte nicht recht hin, dazu roch sie einfach zu gut und das Multitasken ist für einen Mann eine ungeheuer schwierige Tätigkeit (ja,
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